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Migranten auf Lesbos in Griechenland: auch im Winter ebbt der Strom kaum ab.

© dpa

Flüchtlinge in Europa: Neues Jahr, alte Balkanroute

„Fluchtursachen bekämpfen“ und „Zusammenarbeit mit den Transitländern“ lauten Zauberformeln in der Flüchtlingsdebatte. Trotz winterlicher Temperaturen frequentieren Tausende die Balkanroute.

Große Hoffnungen haben Politiker auf eine Zusammenarbeit mit der Türkei in der Flüchtlingskrise gesetzt. Ankara soll die Weiterreise von Flüchtlingen nach Europa unterbinden, doch in der Ägäis dauert der Zustrom praktisch unvermindert an. Die Regierung in Athen macht keinen Hehl daraus, dass der von der Türkei mit der EU vereinbarte Stopp der Migration bislang nicht funktioniere. Kaum verwunderlich dabei: Gegenseitige Schuldzuweisungen machen zwischen Athen und Ankara die Runde.

„Die Türkei reduziert den Zustrom nicht“, kritisiert der für Migration zuständige griechische Vizeminister Ioannis Mouzalas. Kreise des griechischen Außenministeriums erinnern gern daran, dass die Türkei die Visumspflicht für Bürger vieler Staaten aufgehoben habe, aus denen vor allem Wirtschaftsmigranten kommen. „Wir haben ein neues Phänomen: Marokkaner und Algerier (...) kommen in großen Zahlen“, sagte Mouzalas der Zeitung „Eleftheros Typos“.

Ein Offizier der Küstenwache auf der Insel Chios sagt: „Wenn Ankara den Zustrom stoppen wollte, dann würde niemand mehr rüberkommen.“ Warum die Türkei das Vereinbarte nicht einhält, darüber gibt es in Athen keine offizielle Erklärung. Es wird aber vermutet, dass Ankara die Trumpfkarte „Kontrolle des Flüchtlingszustroms“ weiter ausspielen will, um eigene Interessen in den Beziehungen zur EU durchzusetzen.

„24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche“

Das sieht die Regierung in Ankara völlig anders. Die Türkei tue alles, um den Flüchtlingsstrom einzudämmen. „Wir brauchen die Europäische Union und besonders die griechische Regierung, um die nötigen Schritte zu unternehmen“, heißt es aus Regierungskreisen. Die türkische Küstenwache sei „24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche“ damit beschäftigt, Flüchtlingsboote abzufangen, und an Land griffen die Sicherheitskräfte hart gegen Schlepperbanden durch. 2015 seien mehr als 200 Schlepper festgenommen worden. Ein Regierungsvertreter in Ankara sagt der Deutschen Presse-Agentur: „Wir sind weiterhin fest entschlossen, illegale Einwanderung zu unterbinden.“ Zugleich weist er auf die schwierige Lage im Nachbarland Syrien hin: „Der Hauptfaktor, der die Menschen zur Flucht treibt, ist der syrische Bürgerkrieg.“

Bei der Brüsseler EU-Kommission verweist man auf Nachfrage nur auf den mit der Türkei vereinbarten gemeinsamen Aktionsplan. Dieser solle „Ordnung in die Migrationsströme bringen und helfen, irreguläre Migration einzudämmen“. Daten vom Dezember, unter anderem von der EU-Grenzschutzagentur Frontex und dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) lieferten „erste ermutigende Signale bei monatlichen Ankünften“, meint eine Sprecherin.

„Die Menschen werden weiter fliehen“, sagt UNHCR-Sprecherin Ariane Rummery. „Im Moment deutet nichts auf ein Ende des Krieges.“ Ein großes Problem für das UN-Flüchtlingshilfswerk sind die weiterhin viel zu knappen Gelder. So sind die Syrien-Hilfsprogramme nach UNHCR-Angaben unterfinanziert. Für 2015 waren 4,3 Milliarden Dollar (knapp vier Milliarden Euro) vorgesehen, von denen aber bisher nur 58 Prozent eingezahlt wurden. Für 2016 haben die UN und andere Organisationen Kosten von etwa 4,5 Milliarden Dollar veranschlagt.

Alleine in Syrien gibt es 6,5 Millionen Binnenvertriebene

Im Irak wird die Zahl der Binnenflüchtlinge auf drei Millionen geschätzt. Die meisten sind aus Mossul und der Anbar-Provinz in die kurdischen Gebiete im Norden, in die Hauptstadt Bagdad oder in südliche Provinzen geflohen. Die meisten leben in Flüchtlingslagern, oft fehlt es an der lebensnotwendigen Grundversorgung. Zwar wurde die Großstadt Ramadi Ende Dezember in weiten Teilen von der Terrormiliz IS befreit, trotzdem könnte die Rückkehr der Vertriebenen noch Monate dauern, weil die Stadt Berichten zufolge zu 80 Prozent zerstört ist.

In Syrien sind mehr als 6,5 Millionen Syrer im eigenen Land vertrieben worden. Mehrere Millionen leben zudem in den Nachbarländern Türkei, Libanon und Jordanien. Vor allem im Libanon ist ihre Lage dramatisch, da die Regierung offizielle Flüchtlingslager verbietet. Viele Syrer leben deshalb in slumähnlichen Behausungen ohne Heizung und Strom. Kalte Temperaturen und Schnee machen ihnen im Winter zu schaffen, besonders in der höher gelegenen Bekaa-Ebene.

Nach Italien kommen mittlerweile deutlich weniger Flüchtlinge. Doch auch dort ist die Situation weiter angespannt. Viele Aufnahmezentren sind überfüllt, die vorgesehenen Hotspots für die Registrierung und Identifikation der Flüchtlinge werden nur schleppend eingerichtet. Immer wieder werfen deshalb EU-Partner der italienischen Regierung vor, die Ankömmlinge ohne Registrierung ungehindert weiterreisen zu lassen. Nur noch etwa 15 Prozent der gut eine Million Menschen, die nach UN-Angaben 2015 über das Mittelmeer kamen, gingen im vergangenen Jahr in Italien an Land. Dennoch bleibt dies die tödlichste Route, die meisten der mehr als 3700 toten oder vermissten Migranten gab es 2015 dort. (dpa)

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