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Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer behauptet - auch ohne zu begründen.

© Sven Hoppe/dpa

Flüchtlinge und Grenzen: Recht ist manchmal auch nur eine Meinung

Die von Seehofer heraufbeschworene "Herrschaft des Unrechts" in der Flüchtlingskrise ist nur die rhetorische Herrschaft des Horst. Ein Kommentar.

Worin die „Herrschaft des Unrechts“ beim Massen-Grenzübertritt von Flüchtlingen liegen soll, das hat Horst Seehofer in seinem Passauer Traditionsinterview nicht begründet. Da zeigt er Ähnlichkeiten mit der Bundesregierung. Sie hat lange kaum begründet, weshalb dies alles unter der Herrschaft des Rechts stattfinden solle. Die Diskussion dreht sich dabei nicht zuletzt um einen Paragrafen über die „Aufgaben der Grenzbehörde“ im Asylgesetz. Danach ist Asylsuchenden die Einreise zwingend zu verweigern, wenn sie „aus einem sicheren Drittstaat“ einreisen. Also etwa Österreich, oder? Seht nur, das schöne Gesetz – hier wird es gebrochen.
Mittlerweile hat die Bundesregierung zu Worten gefunden. Die Dublin-III-Verordnung, sagt sie, habe, da Europarecht, Vorrang und setze vor einer Zurückweisung zunächst die Prüfung und Ermittlung eines zuständigen Aufnahmestaates voraus. Im Inland, mit anschließenden Überstellungsersuchen. Theoretisch sollen Asylanträge zwar an den EU-Außengrenzen geprüft werden. Die Dublin- III-Verordnung aber spricht nur von der „Grenze“, an der jemand seinen Antrag stellt. Also auch den Binnengrenzen.
Mit der Prüfpflicht will die Verordnung vermeiden, dass Flüchtlinge hin- und hergeschoben werden, wenn sich jeder Staat für unzuständig erklärt. Eine humanitäre Notwendigkeit. Hunderttausende Geflohene in der Bundesrepublik wären damit Hunderttausende potenzielle Prüflinge. Vielleicht gibt es sie ja doch noch irgendwann, die Überstellungen an die anderen Staaten.
Freilich stellt sich mit dieser Sichtweise ein anderes Problem: Denn damit wäre die Bundesrepublik gleichsam verpflichtet, jedem Antragsteller an ihrer Grenze, egal woher, zumindest vorübergehend Schutz und Aufnahme zu garantieren. Die Regierung wäre indes nicht die Regierung, wenn sie nicht auch dafür eine Lösung anzubieten hätte: „Nach Auffassung der Bundesregierung“, so teilt sie mit, wären „in spezifischen Ausnahmesituationen“ auch Zurückweisungen an der Grenze möglich. Was Seehofer am liebsten zur Regel machen will – die Zurückweisung – wäre nach dieser Auffassung also nur in „spezifischen Ausnahmesituationen“ möglich. Haben wir die schon? Wohl nicht, denn es wird an den Grenzen nicht zurückgewiesen.
Immerhin sagt die Regierung etwas, das bei Seehofer fehlt: „Auffassung“. Recht ist oft nur eine Meinung. Seehofer setzt die seine absolut. Das funktioniert mit Rechtsbehauptungen ganz gut. Nicht umsonst gilt die Gerichtsrede als Ursprung aller Rhetorik. Recht ist Kommunikation, die Rechtsmeinung ist ihr Treib- und Schmierstoff. Aber eine Meinung allein bedeutet wenig im Ringen um das Recht. Eine Meinung muss begründet werden. Wer darauf verzichtet, dem braucht man nicht zuzuhören.

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