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Objektschutz in Chemnitz.

© dpa

Flüchtlinge und Terror: Es geht um Integration, Akzeptanz und Sicherheit

Ein Syrer als mutmaßlicher Terrorist, gefasst von anderen Syrern: Prompt beginnt die Rechthaberei über Sinn und Unsinn der deutschen Flüchtlingspolitik. Doch die ist vollkommen retro. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Deutschland in der Häme-Spirale. Meldung eins: Als Flüchtling anerkannter Syrer wird verdächtigt, Sprengstoffanschlag vorbereitet zu haben. Polizei findet in seiner Wohnung hochexplosives Material. Verdächtiger flüchtet. Reaktion der Rechtspopulisten: Hah, haben wir immer schon gesagt – mit den Flüchtlingen kommt der Terror.

Meldung zwei: Verdächtiger wird geschnappt. Er hatte am Leipziger Hauptbahnhof Landsleute angesprochen, ob er bei ihnen übernachten könne. Die nahmen ihn mit, setzten ihn fest und verständigten die Polizei. Reaktion der Willkommenskulturellen: Hah, haben wir immer schon gesagt – mit den Flüchtlingen kommen auch Terror-Verhinderer.

Wer ist die Ausnahme, wer die Regel? Darüber tobt jetzt der Streit, der umso erbitterter geführt wird, je dünner die Faktenbasis ist. Denn nichts Genaues weiß man nicht. Mehrere hunderttausend Flüchtlinge sind zum Teil unkontrolliert nach Deutschland gekommen, rund zwei Drittel der Asyl-Erstantragsteller aus dem vergangenen Jahr waren Muslime. Es ist möglich, dass auch Terroristen darunter waren. Möglich ist ebenfalls, dass sich Zufluchtsuchende, Entwurzelte, hierzulande radikalisieren. Anfällig dafür scheinen in erster Linie junge, alleinstehende Männer zu sein. Die Gefahren, die damit einhergehen, wurden anfangs unterschätzt, manche sagen: unterspielt. Inzwischen sind Sicherheits- und Geheimdienste auf der Hut.

Soweit zur Lage. Was aber folgt aus alledem? Rückwärtsgewandte Rechthaberei über Sinn und Unsinn der deutschen Flüchtlingspolitik ist exakt das – rückwärtsgewandte Rechthaberei. Die Flüchtlinge sind hier, sie massenhaft abzuschieben, wäre illegal. Was also bleibt, ist dreierlei: Integration, Akzeptanz, ein wehrhafter Staat.

Die Verantwortlichen fürchten eine Neiddebatte

Integration. Die Bewältigung der Flüchtlingskrise sei die größte Herausforderung ihrer Amtszeit, sagte Angela Merkel. Sigmar Gabriel nannte sie die „größte Herausforderung seit der Wiedervereinigung“. Vergleiche zur Finanzkrise und Bankenrettung wurden gezogen. Es geht um Milliardensummen für Sprachkurse, Kitaplätze, Betreuung, Ausbildung, um eine „nationale Kraftanstrengung“ (Merkel). Doch statt dies offensiv zu vertreten, fürchten die Verantwortlichen eine Neiddebatte, nach dem Motto: Für die Flüchtlinge ist Geld da, für unsere Schulen nicht. Politik heißt, Prioritäten zu setzen und sie erklären zu können. Da gibt es noch Nachholbedarf.

Akzeptanz. Die leidige Islam-Diskussion – gehört er zu Deutschland, gehört er auch zu Deutschland, verträgt er sich mit einer Leitkultur, mit dem Grundgesetz? – muss auf ihre Objekte, die in Deutschland lebenden Muslime, diskriminierend wirken. Ihr Glaube, ein Teil ihrer Identität, wird dadurch infrage gestellt. Wer in einem muslimischen Flüchtling aus Syrien zuförderst einen potenziellen Terroristen wahrnimmt, drängt ihn womöglich erst in jene Ecke, in der zu stehen, ihm unterstellt wurde. Wenn Rechtspopulisten fordern, den Muslimen das Recht auf eine freie Religionsausübung zu beschneiden, von ihnen aber ebenso allerdeutschtümelndste Loyalitätsbekundungen erwarten, ist das widersprüchlich, ja absurd.

Sicherheit. Polizei und Geheimdienste müssen an erkennungsdienstlicher Arbeit nachholen, was in den Turbulenzen des vergangenen Flüchtlingsherbstes unterblieben worden war. Sie brauchen mehr Arabisch sprechende Mitarbeiter, sind angewiesen auf enge Kontakte zu Schlüsselfiguren aus der Gemeinschaft der Geflüchteten. Nur in Zusammenarbeit mit diesen kann Sicherheit geschaffen werden und erhalten bleiben.

Darüber lohnt es zu diskutieren. Wer sich statt dessen Gedanken macht über angeblich einstürzende Weltbilder der Gegenseite, führt Gefechte aus einer Zeit, in die es kein Zurück mehr gibt. Es gibt ein kurzes, treffendes Wort dafür, es heißt – retro.

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