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Ernste Gesichter zu einem ernsten Thema: Die Parteichefs Horst Seehofer (CSU), Sigmar Gabriel (SPD) und Angela Merkel (CDU) geben im Mai 2015 nach einem Spitzentreffen von Bund und Ländern zum Umgang mit der wachsenden Zahl von Flüchtlingen eine Pressekonferenz.

© dpa

Flüchtlingsgipfel: Die SPD bietet sich als Sündenbock an

Über die Flüchtlinge haben bislang vor allem CSU und CDU gestritten. Nach dem Treffen im Kanzleramt aber wird die SPD unter Druck geraten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

Wer mitten in der Krise zum Dreiergipfel der Koalitionsspitzen lädt, weckt hohe Erwartungen. Seit Wochen bombardiert Horst Seehofer die Kanzlerin mit Drohungen und Ultimaten, um den Zuzug von Flüchtlingen endlich zu stoppen. Wenn sich die wichtigsten Politiker in dieser zugespitzten Lage nach nur zwei Stunden Beratung ohne Einigung trennen, ist das ein verheerendes Signal – für den Zustand der Koalition und auch für Handlungsfähigkeit der Politik vor der größten Herausforderung der Republik seit der Wiedervereinigung.

Damit ist die Regierung aber noch nicht am Ende. Niemand in der großen Koalition will Neuwahlen – weil sie die Kapitulation der Regierung vor den Problemen besiegeln würden und auch keinem Partner Vorteile versprechen. Und weil sie die Rechtspopulisten fast sicher in den Bundestag brächten.

Gescheitert ist das Treffen am Streit um die Transitzonen. Mit der Idee, die Gewährung von Leistungen davon abhängig zu machen, dass sich ein Flüchtling dort registrieren lässt, können sich alle drei Parteien anfreunden. Doch die Union will ein Signal der Kontrolle schon an der Grenze, Sigmar Gabriels SPD aber stellt sich vor, dass Flüchtlinge nicht bereits an der bayerischen Grenze, sondern womöglich erst in Schleswig-Holstein registriert werden.

Am Ende geht es um mehr als um den Vorteil einer Partei

Gabriel selbst hatte noch Anfang Oktober von den "Grenzen unserer Möglichkeiten" gesprochen und Flüchtlingszahlen genannt, die auf Dauer nicht zu verkraften seien. Wer so redet, steht in der Schuld, Instrumente zur Begrenzung des Zuzugs aufzuzeigen. Nun aber herrscht in der SPD wieder das Diktat des guten Willens, jedem nationalen Instrument zur Begrenzung des Zuzugs erteilt Gabriel eine Absage. Es ist auch kein Beitrag zur Deeskalation, wenn die SPD einen Tag vor dem Dreiergipfel eisenharte Beschlüsse fasst, was nun alles nicht geht.

Entweder hat Gabriel die nun fast zwangsweise folgende politische Mechanik nicht vorhergesehen, oder er nimmt sie billigend in Kauf: Bisher lag das partei- und machtpolitische Risiko bei der Union, denn Seehofers Radikalrhetorik und die Unzufriedenheit vieler in der CDU mit dem Flüchtlingskurs der Kanzlerin nagten an Merkels Autorität.

Jetzt aber haben sich die Sozialdemokraten als Sündenböcke geradezu aufgedrängt, denn sie zwingen CSU und CDU wieder auf eine Linie. Beide Unionsparteien können Gabriels Partei nun als den Faktor angreifen, der Signale der Härte an der Grenze verhindert. Der Kanzlerin unter Druck eröffnet das die Möglichkeit, die alte politische Ordnung wieder herzustellen. Sie, die mit ihrer Emotionalität die Republik verblüfft hat, steht nun wieder für kühlen Pragmatismus und Ordnungsversuche und damit "rechts" von den hehren Grundsätzen der SPD.

Da die Union und Merkel mit Versuchen zum Gegensteuern die Mehrheitsmeinung hinter sich wissen, werden sie die Ordnungssignale verstärken. Es gehört wenig Fantasie zu der Vorhersage, dass der Druck auf die SPD gewaltig wachsen wird.

Am Ende aber geht es um viel mehr als um den Vorteil einer Partei. Weil die Menschen im Lande Hegels hohe Erwartungen an den Staat haben, braucht es in der Flüchtlingskrise die Wiedergewinnung politischer Kontrolle, wenn das Vertrauen in die Demokratie nicht erodieren soll. Wer dazu nicht beiträgt, riskiert weit mehr, als vielen bewusst ist.

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