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Herzdame. Ein Flüchtling hält bei seiner Ankunft in München im Jahr 2015 ein Foto von Angela Merkel in den Händen.

© Sven Hoppe/dpa

Flüchtlingshelfer im Kanzleramt: Angela Merkel und ihr Balanceakt

Angela Merkel lädt eine Hundertschaft Flüchtlingshelfer ins Kanzleramt. Sie bedankt sich für deren Engagement - in Feierlaune kommt sie dennoch nicht.

Von Robert Birnbaum

Die junge Frau hat plötzlich eine Härte in der Stimme, die zum Anlass auf den ersten Blick kaum passt. Kathleen Kunath darf sich nämlich etwas wünschen von der Bundeskanzlerin. Angela Merkel hat am Freitag Mittag eine Hundertschaft Freiwillige aus Flüchtlingsinitiativen ins Kanzleramt geladen. Es soll ein stellvertretendes Dankeschön werden, aber auch eine Gelegenheit zur Bestandsaufnahme aus Sicht der Helfer vor Ort. Auf der großen Freitreppe im Foyer des Kanzleramts sitzen die Gäste. Eine Handvoll hat sich Merkel in eine kleine Talkrunde nach vorne geholt.

Jetzt also sind Wünsche angesagt. Kunath holt Luft. Der erste wäre, „dass der unsägliche Begriff ,keine Bleibeperspektive’ ersatzlos gestrichen wird“. Und der zweite, klarzustellen, „dass Afghanistan sicher kein sicheres Land ist!“

Von den Stufen prasselt starker Applaus, stärker als sonst in dieser guten Stunde. Es ist klar, der Termin hat seinen kritischen Moment erreicht. Dabei ist er an sich schon nicht einfach. Im aufziehenden Wahlkampf gehört die Frage, wie die Kanzlerin mit ihrem zentralen Thema der letzten eineinhalb Jahre umgehen will, zu den völlig ungeklärten. Die Wählerschaft ist gespalten, die CDU-Chefin Merkel weist selbst darauf hin: Die einen, sagt sie, kennen selber Flüchtlinge und sehen sie grundsätzlich positiv, die anderen haben Angst und fühlen sich überfordert. Ein Unterschied wie schwarz und weiß, fast ohne Grautöne: „Ich hab’s jedenfalls so noch nicht erlebt.“

Bloß der AfD nichts liefern

Wer eine Wahl gewinnen will, muss mit dieser Polarisierung umgehen. In der Union finden nicht wenige, das Beste wäre, um das ganze Thema einen großen Bogen zu machen. Zu dieser Schule gehört zwischenzeitlich sogar Horst Seehofer. Der CSU-Chef hat seit Wochen das Wort „Obergrenze“ nicht mehr in den Mund genommen. Bloß der AfD nichts liefern, womit die Rechtsaußentruppe ihren Umfragen-Sinkflug bremsen kann, heißt die aktuelle Parole aus München.

Für Merkel stellt sich die Lage komplizierter dar. Die Anhänger der Willkommenskultur stehen ihr eigentlich wohlwollend nahe, beäugen aber jeden Schritt misstrauisch, der nach Rückkehr zum alten CDU-Abschottungskurs riecht. Auf der anderen Seite stehen solche wie die Frau, von der Heike Krämer-Resch vom Flüchtlingsnetzwerk Bad Neuenahr berichtet: Die habe ihr gesagt, sie müsse ihren Zaun erhöhen wegen der Flüchtlinge, die ins Nachbarhaus zögen. „Da schüttel’ ich nur den Kopf!“ sagt Krämer-Resch. Aber solche gebe es nur „ganz wenige“. Merkel weiß es besser: „Die muss ich ja auch ernst nehmen, ich bin ja die Bundeskanzlerin aller Deutschen.“

Die einen nicht verprellen, die anderen auch nicht – ein Balanceakt. Merkel versucht es mit Grautönen gegen Schwarzweiß. Ja, dieses Deutschland habe ein „unglaubliches Gestrüpp“ an Verwaltung, gesteht sie den Helfern zu, von denen viele über zähe, unwillige, ja regelrecht feindliche Bürokratie klagen – eine Frau aus dem Publikum berichtet, sie habe den Verfassungsschutz sogar vor dem späteren Bombenleger von Ansbach gewarnt, die Herrschaften hätten sie aber gar nicht ernst genommen. Andererseits, gibt Merkel zu bedenken – wenn was schief laufe, weil die Behörde nicht genau hingeschaut habe, hagele es auch Kritik.

„Sie brauchen nicht zu klatschen“

Oder eben diese Sache mit den Afghanen. Mehrere Helfer erzählen von Fällen, wo sich junge Männer mustergültig integriert hatten – Sprache, Lehre, Fußballclub, alles – und dann plötzlich zurück sollen in ihr Bürgerkriegsland. „Keiner tut sich da leicht“, sagt die Kanzlerin. Nur: „Ich muss noch’n paar andere Fragen beantworten.“ Zum Beispiel die des afghanischen Präsidenten, der sie regelrecht angefleht habe, Afghanistan nicht zum verlorenen Land zu erklären: „Dann hab’ ich keinen mehr, der gegen die Taliban kämpft!“ Und was, sagt Merkel, solle sie der Mutter des deutschen Soldaten sagen, der dort unter Einsatz seines Lebens afghanische Soldaten ausbildet? Sowieso zwecklos? „Das ist dieses Dilemma!“

Ein paar wenige auf der Treppe applaudieren, zögerlich. „Sie brauchen nicht zu klatschen“, sagt Merkel. Sie verstehe ja die Helfer. Aber die sollten zumindest auch die Gedankengänge der Regierenden kennenlernen.

Ein paar mehr applaudieren. Es klingt immer noch nicht überzeugt. Aber der kritische Moment ist überstanden. Nach eineinhalb Stunden nimmt Merkel eine kleine Sammlung Wünsche mit – Einbeziehung der Initiativen in Abschiebe-Entscheidungen, Beschleunigung von Arbeitserlaubnissen, überhaupt mehr Tempo in der Integration sind die am häufigsten genannten. Die Helfer nehmen den Dank mit. Kanzleramtschef Peter Altmaier fasst ihn zusammen: „Für viele Flüchtlinge sind Sie Deutschland!“

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