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Eine russische Matrjoschka-Figur mit einem Merkel-Konterfei in Freital (Sachsen). Freital steht seit diesem Sommer für Fremdenhass. Doch dort leben nicht nur neue Flüchtlinge. Es gibt auch Einwanderer, die schon lange da sind.

© dpa

Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin: Die heilige Angela arbeitet längst im Krisenmodus

"Wir schaffen das", sagte Angela Merkel. Doch deshalb ist sie noch lange nicht naiv. In kleinen Schritten bemüht sie sich um die Eindämmung des Flüchtlingsstroms. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Antje Sirleschtov

Natürlich hat Angela Merkel Fehler gemacht in der Flüchtlingskrise. Ihre Entscheidung, die Grenzen zu öffnen, als im September tausende Menschen in Ungarn und auf den Bahngleisen Österreichs umherirrten, gehört nicht dazu. Sie hat die humanitäre Katastrophe mitten in Europa kommen sehen und das einzig Richtige getan.

Auch ihr Credo vom „Wir schaffen das“ war richtig, war geboten, weil es Kräfte mobilisiert und Zuversicht verbreitet hat, ohne die eine Gesellschaft historische Ausnahmesituationen wie diese nicht bewältigen kann. Allerdings: Wo war die mächtigste Frau Europas, als schon vor Monaten klar wurde, wie wenig die Europäer zu Solidarität und gemeinsamer Verantwortung bereit sind?

Und natürlich war es auch ein Fehler, im September nach der Grenzöffnung nicht deutlicher zu betonen, dass diese Entscheidung keinesfalls eine Einladung an die Welt war, nach Deutschland zu kommen. Aus all dem aber zu schließen, Merkel opfere auf dem Altar der Menschlichkeit deutsche Interessen, wäre ein noch größerer Fehler.

Denn unter dem Dach der heiligen Angela arbeitet längst die Kanzlerin, die man aus früheren Krisen kennt – pragmatisch und mit vielen kleinen Schritten –, an der Eindämmung des Flüchtlingsstroms. Und damit exakt an dem, was in ihrer eigenen Partei erwartet und von Horst Seehofer mit immer wilderem Geschrei eingefordert wird.

Nach außen drängt Merkel auf Verteilungsquoten in der EU, treibt die Einrichtung von Auffanglagern in Griechenland und Italien voran, stärkt den Schutz der EU-Außengrenzen und bietet sogar dem türkischen Autokraten Erdogan einen Handel an, damit er die Flüchtlinge festhält.

Transitzonen heißen nicht mehr Transitzonen

Kann man noch mehr tun, um den Zustrom von Flüchtlingen zu stoppen – oder ihn zumindest von Deutschland fernzuhalten? Vielleicht noch die deutschen Grenzen stärker zu sichern. Auch daran wird gearbeitet, wenn mit Österreich die geordnete Übergabe von Flüchtlingen an der bayerischen Grenze ausgehandelt wird. Das klappt zwar nicht immer, weshalb in München ja auch die Nervosität steigt. Bei Lichte besehen ist das, was Merkel „geordnetes Verfahren“ nennt, aber nichts anderes, als dafür zu sorgen, dass die Bayern nicht Nacht für Nacht mit immer neuen Katastrophenszenarien überrascht werden.

Dem gleichen Ziel, die Zahl der Asylanträge und der -bewilligungen zu begrenzen, folgen auch all die Maßnahmen, die in der Zwischenzeit den Bundestag passierten und in die Wege geleitet wurden: von der Verschärfung des Asylrechts über die Ausweitung der Zahl sicherer Herkunftsstaaten bis hin zur konsequenteren Abschiebung. Demnächst wird dann auch noch die Begrenzung des Familiennachzuges die Attraktivität des Flüchtlingshafens Deutschland verringern.

Am Wochenende wird die Kanzlerin ihren beiden Koalitionspartnern aller Voraussicht nach die Einrichtung von Zonen für Asyl-Schnellverfahren abverhandeln. Die heißen dann zwar nicht mehr Transitzonen, weil niemand in Haft genommen wird. Im Kern sind sie aber nichts anderes, weil, so der Plan, der Bezug von Sozialleistungen in Zukunft an die Registrierung in den Zonen gekoppelt werden soll. Merkels nächste Stellschraube.

Das alles braucht natürlich Zeit, bis es Wirkung erzielt. Wie immer in der Realpolitik. Und es braucht Politiker, die die Nerven behalten. Aber eines ist klar: Die Kanzlerin legt den Schalter bereits um.

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