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Brennende Fahnen. Premierminister Erdogan hat die Stimmung erst angeheizt und rudert jetzt etwas halbherzig wieder zurück. So viel anti-israelische Emotion bringt ihn außen- und innenpolitisch doch wieder in Schwierigkeiten.

© AFP

Folgen des Gaza-Konflikts: Antisemitische Stimmung in der Türkei

Erdogan schürt in der Türkei die Wut auf Israel – und schafft sich damit selbst Probleme. Anfang der Woche musste der Regierungschef den Volkszorn mäßigen, um türkische Juden zu schützen.

Die islamistische Zeitung „Yeni Akit“ ist in der Türkei bekannt für ihre rüden Attacken auf Andersdenkende. Auch angesichts der israelischen Offensive in Gaza wartete das Blatt mit einer besonderen Geschmacklosigkeit auf. In einem Kreuzworträtsel präsentierte „Yeni Akit“ den Lesern als Prominenten-Foto ein Bild von Adolf Hitler. Die korrekte Antwort unter dem Foto lautete: „Wir suchen dich.“

Regierung, Opposition, Medien und Zivilgesellschaft in der Türkei verurteilen geschlossen die Militäraktion Israels im Gaza-Streifen. Nicht nur bei „Yeni Akit“ mischen sich dabei auch antisemitische Töne in die Kritik. Die Schlagersängerin Yildiz Tilbe schrieb beim Kurznachrichtendienst Twitter, Hitler habe seinerzeit nicht genug gegen die Juden getan.

Erdogan erhofft sich Vorteile im Wahlkampf

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der sich in drei Wochen zum Präsidenten wählen lassen will, schürte die Wut der Bevölkerung mit seinen eigenen NaziVergleichen. Radikale Palästinenserfeinde in Israel hätten Hitler an Barbarei übertroffen, sagte er am Wochenende. Erdogan und Mitglieder seiner Regierung nennen das israelische Vorgehen „Völkermord“.

Erdogan verspricht sich von der harten Linie einen Vorteil im Präsidentschaftswahlkampf. Niemand verdamme das israelische Vorgehen in Gaza so laut und deutlich wie er, sagte der Premier der Zeitung „Milliyet“. Israel wird von vielen Türken als aggressiver Staat gesehen, der das Lebensrecht der Palästinenser missachtet. Gewalttaten von Hamas und anderen Gruppen gegen Israel werden häufig als Widerstandsaktionen gerechtfertigt. Nach Umfragen wollen 40 Prozent der Türken keinen Juden als Nachbarn.

In der Türkei leben rund 20 000 Juden

Doch die Welle der anti-israelischen Proteste schwappt höher, als es Erdogan lieb sein kann. In Istanbul setzten Demonstranten zum Sturm auf das israelische Generalkonsulat an und mussten von der Polizei mit Wasserwerfern auseinandergetrieben werden. Angesichts des eskalierenden Antisemitismus sah sich der Premier genötigt, seine Anhänger vor Übergriffen auf Juden in der Türkei zu warnen. Die rund 20 000 Juden in der Türkei seien Bürger des Landes und „stehen unter unserem Schutz“.

Vorerst eskaliert die Empörung weiter. Ein Verbraucherverband rief die Türken zum Boykott von Weltmarken wie Coca-Cola, McDonald’s oder Nestlé auf, weil diese Israel unterstützten. Einige Kommunalverwaltungen, die von Erdogans Regierungspartei AKP beherrscht werden, schlossen sich dem Appell an. Ein Konsumverzicht könnte der türkischen Wirtschaft und besonders dem Ruf des Land als weltoffener und sicherer Standort schaden: Coca-Cola und andere globale Unternehmen betreiben regionale Hauptquartiere in der Türkei. Unterdessen wird aus dem Tourismussektor eine Stornierungswelle israelischer Urlauber gemeldet.

In den USA wächst das Misstrauen gegen die Türkei

Auch außenpolitisch kommt Erdogan in Schwierigkeiten. Die USA als wichtigster Partner Ankaras zeigten sich verstimmt über die Hitler-Vergleiche des Premiers. Erdogan erwiderte, die USA sollten ihre Unterstützung für Israel überdenken, was in Washington die Zweifel an der Politik Ankaras verstärken dürfte. Der Premier wurde von seiner eigenen Rhetorik in einen Zwist mit dem Verbündeten USA getrieben, der nicht im Interesse der Türkei sein kann.

Die Opposition kritisiert Erdogans Nähe zu Israel

In der Türkei selbst gerät Präsidentschaftskandidat Erdogan ebenfalls unter Druck. Noch kürzlich hatte er eine Aussöhnung mit Israel nach dem Tod von zehn türkischen Aktivisten beim Sturm israelischer Soldaten auf die Gaza-Hilfsflotte im Mai 2010 in Aussicht gestellt. Diese ist jetzt vom Tisch, doch die Opposition stellt drei Wochen vor der Präsidentenwahl am 10. August unangenehme Fragen, etwa nach den florierenden türkisch- israelischen Handelsbeziehungen und Militärexporten für Israel. So soll die Erdogan-Regierung den Israelis erst vor kurzem Treibstoff für Kampfjets geliefert haben – der dann angeblich bei Angriffen auf Gaza verwendet wurde.

Einige Oppositionspolitiker wollen als lebende Schutzschilde nach Gaza reisen, was der Regierung Probleme bereitet: Erdogan hatte als Geste der Solidarität mit den Palästinensern mehrmals öffentlich eine Reise nach Gaza angekündigt – war dann aber doch nicht gefahren. Die Aktion der Parlamentarier soll ihn nun wie einen Feigling aussehen lassen.

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