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Politik: Folgenschwerer Versprecher

Nachdem BBC-Mann Gilligan Fehler bei Berichten über das Irak-Dossier eingeräumt hat, will die Politik nun den Sender überprüfen

„Das versendet sich“, sagen Radiojournalisten, wenn ihnen im Eifer des Gefechts ein Fehler unterläuft. „Es war ein Versprecher“, sagte BBC-Journalist Andrew Gilligan diese Woche im Kreuzverhör vor Lord Hutton zur Untersuchung der Irak-Affäre. Aber der „Versprecher“, der Gilligan am 29. Mai um 6 Uhr 07 im „Today Programme“ unterlief, hat sich nicht versendet. Im Gegenteil. Sein Bericht über das Irak-Dossier hat die Regierung Blair in ihre schwerste Krise gestürzt, die Legalität des Irak-Krieges neu in Frage gestellt, zum Selbstmord des Waffenexperten David Kelly und zu einem bitteren Streit zwischen der BBC und der Regierung Blair geführt. „Wenn gestimmt hätte, was Gilligan behauptete, hätte ich zurücktreten müssen“, sagte Premier Tony Blair bei seiner Vernehmung.

Im Frühprogramm von Radio 4 geht es jeden Morgen zweieinhalb Stunden zur Sache. Ohne Zwischenmusik. Die Sendung ist Pflicht für die Elite des Landes, auch die Mitarbeiter der Nachrichtenagenturen hören mit. So lief der „Versprecher“ bald über die Ticker. Die britische Regierung habe „angeordnet“, das Irak-Dossier vom September 2002 „sexier“ zu machen. Sie habe die Behauptung, der Irak könne Chemiewaffen in 45 Minuten angriffsbereit machen, eingefügt, „obwohl sie wusste, dass sie falsch war".

Mit Tränen in der Stimme musste Gilligan diese Woche in der Hutton-Untersuchung die lobende E-Mail seines Redakteurs über den Exklusivbericht vorlesen. Dann wurden im Kreuzverhör seine journalistischen Fehler durchgesprochen. Er musste zugeben, seinem Gewährsmann David Kelly Worte in den Mund gelegt zu haben. Er hatte nicht die Beschuldigten gehört, Gesprächsnotizen verloren. Computerexperten rätselten, warum in der Urversion der angeblich während des Gesprächs in einen Mini-Laptop getippten Notizen das Wort „Campbell“ nicht auftaucht. Dann rückte BBC-Nachrichtenchef Richard Sambrook von dem Starreporter ab. Ein guter Schnüffler, der die Dinge zuweilen aber nicht richtig einordne. BBC-Generaldirektor Greg Dyke räumte ein, dass er sich hätte genauer informieren müssen, bevor er sich so entschlossen hinter Gilligans Bericht stellte.

Die BBC, die bis heute keine offizielle Klarstellung oder gar Entschuldigung abgab, hält trotzdem daran fest, dass der Bericht richtig war. Positionen prallen aufeinander: Wüssten wir ohne die BBC so viel über die Erstellung dieser Dossiers? Aber: Kann ein Bericht stimmen, wenn wesentliche Details falsch sind? Womöglich wird Lord Hutton in seinem Bericht dazu etwas sagen.

Der Labour-Abgeordnete Gerald Kaufmann, Vorsitzender des parlamentarischen Medienausschusses, brachte jedenfalls im Unterhaus einen Antrag auf Entlassung von BBC-Generaldirektor Greg Dyke ein – wegen „journalistischer Versäumnisse auf allen Ebenen“. Kulturministerin Tessa Jowell will die Rolle der BBC in der Rundfunklandschaft auf „Herz und Nieren“ überprüfen, bevor die Charta – und die Finanzierung durch die Rundfunkgebühren – im Jahre 2006 erneuert wird. Natürlich habe das mit der Kelly-Affäre nichts zu tun, betonte die Ministerin. Kein Wunder, dass die Anwälte von Kellys Familie Gilligan mit Samthandschuhen anfassten. „Wir wollen nicht, dass er das Gleiche durchmachen muss wie Dr. Kelly.“

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