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Folter-Urteil: Gerichtshof: Gäfgen hatte in Deutschland ein faires Verfahren

Die Europäischen Richter nennen die Geständnisse des Kindermörders freiwillig. Der Verurteilte fordert dennoch weiter Schadensersatz vom Land Hessen.

Bei der Abweisung der Beschwerde des Kindermörders Magnus Gäfgen sieht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) neben dem Folterverbot auch das Recht des Verurteilten auf ein faires Verfahren nicht verletzt. Grundlage für dessen Verurteilung zu lebenslanger Haft sei nicht das Geständnis gewesen, das ihm die Polizisten abgepresst hätten, sondern seine Geständnisse im weiteren Verfahren, hieß es im Urteil. Alle Indizien, die im Zusammenhang mit dem ersten Geständnis gesammelt wurden, etwa Spuren an der Leiche, sind im Frankfurter Mordprozess ausdrücklich nicht berücksichtigt worden. Zwar behauptete Gäfgen nun vor dem Gerichtshof in Straßburg, ohne sein erstes Geständnis hätte er die weiteren niemals folgen lassen. Die Richter entschieden aber jetzt, Gäfgen habe selbst mehrfach bestätigt, er wolle aus Reue gestehen und sich damit entschuldigen. "Man könnte sagen, dass er lediglich seine Verteidigungsstrategie geändert hat", heißt es im Urteil dazu. Die Entscheidung der Kammer erging mit sechs Stimmen gegen eine. Die deutsche Richterin Renate Jäger, Berichterstatterin in dem Verfahren, stimmte mit der Mehrheit. Das abweichende Votum kam von einer Richterin aus Bulgarien.

"Der Gerichtshof für Menschenrechte hat mit diesem Urteil dem Frankfurter Landgericht ein großes Kompliment gemacht", sagte die Vertreterin der Bundesregierung, Almut Wittling-Vogel. Gäfgens Anwalt Michael Heuchemer verwies darauf, dass die Richter das absolute Folterverbot bestätigt hätten, und sagte, "es ist wichtig gewesen, dass es dieses Verfahren gegeben hat".

"Ein Kompliment für das Frankfurter Landgericht"

Die juristische Auseinandersetzung ist mit dem EGMR-Urteil nicht beendet. Neben der Möglichkeit, die Große Kammer des Gerichtshofs anzurufen, führt Gäfgen mit seinem Anwalt Heuchemer, etwas abseits der Öffentlichkeit einen hartnäckigen Prozess um Schadensersatz gegen das Land Hessen. Wie er ausgeht, ist auch nach dem Urteil des EGMR offen. Es gibt allerdings Indizien, dass die Gerichte in ihrem Versuch, Ansprüche Gäfgens zu blockieren, zu weit gehen. So hat Gäfgen, der im nordhessischen Gefängnis Schwalmstadt einsitzt und 2006 Verbraucherinsolvenz beantragt hat, lange vergeblich versucht, für sein Vorhaben Prozesskostenhilfe einzuklagen. Ähnlich wie jetzt der EGMR sahen die Gerichte es als ausreichend an, dass Gäfgen mit der Verurteilung der Polizisten Genugtuung wiederfahren sei. Erst das Bundesverfassungsgericht griff 2007 für Gäfgen ein und machte deutlich, dass so einfach alles nicht ist: Es handele sich um eine "schwierige Rechtsfrage", die "in vertretbarer Weise auch mit einem anderen Ergebnis beantwortet werden kann". Die "Singularität des Vorgangs - die zielgerichtete Androhung von Folter zur Rettung einer einer vermutlich noch lebenden Geisel - steigert die Schwierigkeit der zu klärenden Rechtsfrage", heißt es in dem Karlsruher Beschluss. Die Richter verwiesen darauf, dass sich Gäfgen, gefesselt und in einer Verhörsituation, "in besonderer Weise dem Zugriff der Verhörsbeamten ausgesetzt sah." Die Beamten hätten eine "Schutzpflicht", die verlange, sich verantwortlich und ordnungsgemäß zu verhalten. Die Gerichte, die sich mit dem Fall noch auseinanderzusetzen hätten, dürften die Misshandlungen an Gäfgen nicht "bagatellisieren".

Hinzu kommt, dass Gäfgen mehrere Misshandlungen durch die Polizei behauptet, etwa dass er die Ermittler barfuß an den Fundort der Leiche habe führen müssen. Auch ist seine damalige Freundin, die bei seiner Festnahme anwesend war, nie als Zeugin gehört worden. In einem solchen Prozess könnte auch auf eine bisher ungeklärte Frage einzugehen sein: Frankfurts Ex-Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner, der die Folter androhen ließ, hatte gesagt, er habe für sein Handeln Rückendeckung aus dem Wiesbadener Innenministerium bekommen. Der Sprecher der Frankfurter Staatsanwaltschaft, Jörg Claude, bestätigte dem Tagesspiegel am Dienstag, wegen dieser Sache sei nie ermittelt worden. Man habe in der von Daschner zitierten Äußerung - "Machen Sie das! Zeigen Sie die Instrumente" - keine Anhaltspunkte für strafwürdiges Verhalten gesehen. Jetzt ist die Tat verjährt.

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