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Ein achtjähriges Mädchen liegt auf einem Teppich in ihrem Kinderzimmer und erledigt Hausaufgaben im Fach Deutsch.

© picture alliance / dpa/Jens Kalaene

Forderung von Linken-Chefin Janine Wissler: Schafft die Hausaufgaben ab!

Der alltägliche Stress um die Hausaufgaben vergifte das Familienleben, kritisiert die Linken-Vorsitzende. Außerdem wird aus ihrer Sicht die Spaltung im Bildungssystem verschärft.

Ein Gastbeitrag von Janine Wissler

Er ist quälend und belastend für Familien: der alltägliche Kampf um die Hausaufgaben. „Hast du deine Hausaufgaben gemacht? Immer noch nicht? Vorher kannst du nicht raus.“ 

Das Gegenteil von „quality time“ ist Hausaufgabenzeit. Eltern, die sich am Ende eines langen Tages nach dem Abendessen hinsetzen und googeln, wie Dreisatz noch gleich ging, was der Satz des Pythagoras war, sich in Erinnerung rufen, wie man englische Verben konjugiert und wie das „past progressive“ gebildet wird.

Mit einem Kind schon mühsam und anstrengend, mit zwei oder mehr fast nicht zu bewältigen. Pro Kind 30 Minuten Hausaufgabenhilfe sind keine Seltenheit. Und dazu den Überblick behalten, welche Hausaufgaben in verschiedenen Fächern bis wann fällig sind.

Wenn Eltern Feierabend haben, haben sie noch lange nicht Feierabend. Da warten die Kinderbetreuung, der Haushalt, der Papierkram, die Betreuung von Angehörigen. Von der unnötigen Last der Hausaufgaben könnte man sie sofort entlasten und damit viel Druck aus den Familien nehmen.

Denn der alltägliche Hausaufgaben-Stress vergiftet das Familienleben, bedeutet Streit, Überforderung, Tränen und schürt Aggressionen. Für alle Eltern und ganz besonders für Vollberufstätige und Alleinerziehende. Warum tut man Familien das an?

Und was, wenn Eltern gar nicht helfen können? Weil sie arbeiten oder weil ihre Sprachkenntnisse nicht ausreichen, um die Aufgabenstellungen zu verstehen? Das kleine Einmaleins geht bei vielen noch, aber binomische Formeln?

Eltern müssen sich oft selbst mühsam wieder aneignen, was sie 30 Jahre zuvor oder nie gelernt haben und dazu die Lernmethoden der Lehrkräfte antizipieren. „So hat die Lehrerin es euch erklärt? Bist du sicher? Ich hab das aber anders gelernt.“ Dabei werden Fehler beigebracht und Kinder oft mehr verwirrt als geschult.

All das führt nicht zu Lernerfolgen, und das verbreitete Phänomen, Hausaufgaben eilig im Schulbus oder in der Pause abzuschreiben, schon gar nicht. Dass bei Jugendlichen nun noch der mögliche Einsatz von künstlicher Intelligenz hinzukommt, wäre eine eigene Betrachtung wert.

Hausaufgaben sind das Outsourcing schulischer Lehre

Hausaufgaben sind die Verlagerung von schulischer Lehre in die Familien. Das vertieft die Spaltung im Bildungssystem noch, wie das „home schooling“ während der Coronakrise deutlich gezeigt hat. Das Bildungsniveau der Eltern darf nicht entscheidend sein für die Erfüllung schulischer Aufgaben. Kindern, die kein eigenes Zimmer haben, oder Geflüchteten, die kaum Privatsphäre in Gemeinschaftsunterkünften haben, fehlt schon der ruhige Ort zum Hausaufgabenmachen.

Machen wir Schluss mit diesem Outsourcing schulischer Aufgaben in die Familien und an private Nachhilfeanbieter, die man sich erst mal leisten können muss. Wenn man in der Oberstufe die Literatur für den Deutsch-Leistungskurs zu Hause liest, ist das okay, oder dass man für Prüfungen, Referate und Klausuren auch zu Hause lernt. Aber tägliche Hausaufgaben, deren Erfüllung in der Schule kontrolliert wird, müssen abgeschafft werden.

Wissenschaftliche Studien der vergangenen Jahrzehnte belegen, dass Hausaufgaben kaum oder gar keine positiven Effekte auf die Lernleistung haben. Es ist ein pädagogisches Ritual, das an einigen Schulen bereits aufgebrochen wurde.

Vieles im deutschen Schulsystem widerspricht wissenschaftlichen Erkenntnissen der Bildungsforschung: die Mehrgliedrigkeit, die frühe Aufteilung nach der vierten Klasse, das Sitzenbleiben, das aktuelle Notensystem. In wenigen gesellschaftlichen Bereichen sind die Beharrungskräfte so groß wie im Schulsystem.

Aus Hausaufgaben müssen Schulaufgaben werden.

Janine Wissler, Vorsitzende der Linkspartei

Tun wir das Vernünftige statt das Konventionelle und lassen wir Kinder (und ihre Eltern) nicht unter veralteten Lernmethoden leiden, nur weil das Schülergenerationen zuvor auch ertragen mussten und es eben „schon immer so war“.

Kinder verbringen – auch durch den dringend nötigen Ausbau der Ganztagsschulen – den halben Tag und mehr in der Schule. Im Ganztagsschulbetrieb müssen Phasen des eigenverantwortlichen Lernens, des Wiederholens und Übens eingepasst werden – unter fachgerechter Anleitung statt mit überforderten Eltern am Küchentisch.

Aus Hausaufgaben müssen Schulaufgaben werden. Nach Schulende sollte man Kindern und ihren Familien Freiraum geben: Für Bewegung, für Freundschaften, für gute Eltern-Kind-Gespräche, fürs Nichtstun.

Wir brauchen gut ausgestattete Schulen mit genug Personal, ausreichend Lehrkräfte und Schulsozialarbeit. Viele Schulreformen lassen sich nicht sofort umsetzen, nachdem jahrelang die Lehrkräfteausbildung vernachlässigt wurde und viele Schulgebäude dem Verfall überlassen wurden. Die Abschaffung von Hausaufgaben könnte man aber sofort umsetzen, das fordern bereits viele Schülervertretungen. Und ich bin sicher, das würde das Familienleben deutlich entspannen.

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