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Politik: Fragen, drängen, abwehren

Die Bundesregierung wurde von den Enthüllungen zum NSA-Spähprogramm Prism kalt erwischt. Seitdem muss sie sich selbst verteidigen – gegen den Vorwurf, zu wenig zu tun.

Briefe mit

Fragekatalogen wurden verschickt, sie sind bis heute unbeantwortet.

Merkel telefoniert mit Obama –

allerdings nur,

„um den

Gesprächsprozess zu organisieren“

Am 6. Juni hat es Plopp gemacht in Berlin. Der britische „Guardian“ und die „Washington Post“ berichteten über ein massives internationales Spähprogramm des amerikanischen Geheimdienstes NSA („National Security Agency“) mit dem klangvollen Namen Prism. Demzufolge werden großflächig Telefonate, Mails, Videos, Fotos – eben sämtliche digitale Kommunikation – gespeichert und ausgewertet. Abgeschöpft werden die Daten bei amerikanischen IT-Konzernen und Internetprovidern. Deutschland steht dabei besonders im NSA-Fokus – auf einer Stufe mit Saudi-Arabien, dem Irak oder China. Weitere Enthüllungen, für die der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden verantwortlich ist, folgen. Auch die Briten sollen im großen Stil weltweit den Kommunikationsverkehr im Netz unter dem Namen Tempora überwachen. Die NSA wiederum schöpfe in Deutschland monatlich 500 Millionen Telekommunikationsverbindungen ab. Diese sollen auch inhaltlich durchforstet werden. Außerdem gebe es in EU-Einrichtungen Wanzen. Die sollen gefunden worden sein, allerdings ist noch unklar, ob sie wirklich von der NSA stammen. Plötzlich stellen sich also Fragen: Was macht die NSA hier? Wie tief durchleuchtet sie den deutschen Telekommunikationsverkehr? Was wusste die Bundesregierung? Ein Thema ist geboren. Und ein Problem für die deutsche Politik.

Die Bundesregierung versucht der Spionageaffäre seither mit einer feinen Prise Antiamerikanismus und Aktionismus Herr zu werden. Briefe mit Fragekatalogen an amerikanische Stellen werden geschickt, die bis heute unbeantwortet sind. Da wird auf die Wahrung der Verhältnismäßigkeit gedrungen und gleichzeitig behauptet, man wisse noch nichts. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefoniert mit US-Präsident Barack Obama, allerdings nur, um, wie Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, den

„Gesprächsprozess zu organisieren“. Dieser sah bisher eine USA-Reise einer Regierungsdelegation zu Gesprächen auf Expertenebene vor. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) reiste dabei hinterher. Ergebnis: Die USA haben ohne Zeitangaben zugesagt, geheime Dokumente zu deklassifizieren, alte Verwaltungsvereinbarungen, die den Westalliierten Sonderrechte gewährten, sollen aufgehoben werden.

Und sonst? Sonst hat die Bundesregierung vier Argumente, die sie zur Verteidigung vorträgt. Erstens: Wir müssen weiter aufklären. Zweitens: Wir wussten von nichts. Drittens: Auf deutschem Boden gilt deutsches Recht. Und viertens: Die Informationen haben Anschläge auch in Deutschland verhindert.

Wir müssen aufklären

Bis jetzt wurde die Existenz von Prism und Tempora und die Berichterstattung darüber nicht dementiert. Im Gegenteil. Schon einen Tag nach Bekanntwerden verteidigte Obama das Programm. „Man kann nicht 100 Prozent Sicherheit und 100 Prozent Privatsphäre und null Unannehmlichkeiten haben“, sagte er am 7. Juni in Kalifornien. Am Freitag legte NSA-Chef Keith Alexander nach mit dem Satz: „Die Deutschen wissen jetzt alles.“

Wir wissen von nichts

Im Detail wird das möglicherweise sogar zutreffen. Tatsächlich aber dürfte spätestens nach dem 11. September 2001 jedem Politiker, egal, ob schwarz, gelb, grün oder rot, klar gewesen sein, welchen Überwachungsauftrag die amerikanischen Sicherheitsbehörden, allen voran die NSA, wirklich haben. Der sogenannte Patriot Act gibt gerade der NSA weitreichende Befugnisse. So erlaubt er dem Geheimdienst (aber auch anderen US-Behörden) einen Zugriff auf Server von US-Unternehmen. Das bezieht Tochterunternehmen, die außerhalb der USA ihren Sitz haben, explizit mit ein. Selbst die Behauptung Obamas bei seinem Besuch in Berlin, alles sei richterlich gedeckt, stimmt möglicherweise. Denn seit 1978 gibt es in den USA ein Gericht, das die Aktivitäten der Auslandsgeheimdienste überwachen soll. Nur tagt dieses Gericht geheim. Es kann Überwachungsmaßnahmen auch im Nachhinein genehmigen.

Sonderregelungen greifen zudem, wenn die nationale Sicherheit in Gefahr ist. Und das ist natürlich eine Frage der Auslegung. Im Jahr 2005 wurde bekannt, dass die Regierung von George W. Bush im Jahr 2002 eine großflächige Telefon- und Mail-Überwachung für die NSA genehmigt hatte, ohne entsprechenden Gerichtsbeschluss. Das betraf sowohl nationale als auch internationale Kommunikation. Die Bestimmungen des Patriot Acts gelten nach wie vor, und wer sich anschaut, wie sich Kommunikation seit dem Jahr 2001 verändert hat, dürfte mindestens geahnt haben, in welcher Dimension auch die Überwachung zugenommen hat. Denn die Arbeit der Geheimdienste ist durch die Digitalisierung der Kommunikation eher einfacher als schwerer geworden – zumindest dann, wenn man die technischen, finanziellen und personellen Kapazitäten einer NSA hat.

Die Bundesregierung hat bei ihrer Linie „Wir wussten nichts“ ein weiteres Problem: Ihre Behauptung, das Programm dem Namen nach nicht gekannt zu haben, geht seit dieser Woche nicht mehr ganz auf. Die „Bild“-Zeitung berichtete von einem Dokument des Nato- Hauptquartiers in Afghanistan, das auch an die Bundeswehr gegangen sei. Darin ist von Prism die Rede. Das Dokument stammt aus dem Jahr 2011. Die Bundesregierung behauptet nun, es seien zwei verschiedene Programme. Doch selbst im Verteidigungsministerium wird das so nicht geteilt. Nach allem was man bisher weiß, ist Prism ein Programm mit verschiedenen Bereichen, an dessen Ende die Fäden bei der NSA zusammenlaufen.

Auch SPD und Grünen dürfte nicht nur wegen des Patriot Acts klar gewesen sein, dass die Amerikaner mit ihren riesigen Kapazitäten nicht nur Akten gestapelt haben. Nach dem 11. September wurde der Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrags ausgerufen. Dieser verpflichtet alle Mitgliedstaaten, einem angegriffenen Staat beizustehen – auch militärisch. Beschlossen wurde die Ausrufung in einer ordentlichen Sitzung des Nato-Rates. Der frühere Sonderermittler des Europarats für Aktivitäten der CIA, Dick Marty, berichtete im Deutschlandfunk kürzlich von einer weiteren, einer geheimen Sitzung, in der das Operative dieses Bündnisfalls geregelt wurde. Dabei ging es auch um eine stärkere Kooperation der Geheimdienste unter Federführung der CIA. Der Bündnisfall ist bis heute nicht aufgehoben.

Auch in Entführungsfällen sind sowohl das Kanzleramt als auch das Auswärtige Amt, wo Krisenstäbe angesiedelt sind, involviert. Beide Ressorts kennt SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier als ehemaliger Kanzleramtschef und Außenminister sehr gut. Entsprechend müssten ihm bekannt sein, worüber ebenfalls die „Bild“ berichtet hatte: dass die US-Geheimdienste in solchen Fällen gerne um gespeicherte Kommunikationsvorgänge deutscher Bürger gebeten werden.



Deutsches Recht auf deutschem Boden

Der Umkehrschluss dieser Behauptung ist viel interessanter. Der lautet nämlich – und wird von Friedrich und anderen auch so vorgetragen –, dass man nichts machen könne, wenn deutsche Kommunikation auf amerikanischen oder anderen ausländischen Servern lande. Da gelte kein deutsches Recht. Und das passiert heutzutage ruckzuck. Durch ein sogenanntes Routing-System können selbst Mails oder Telefonate von Hamburg nach Berlin über amerikanische Server laufen, egal, ob ein deutsches Unternehmen diesen Telekommunikationsdienst anbietet oder ein amerikanisches. Das würde aus Sicht der Amerikaner rechtfertigen, dass die Daten, wie es eben amerikanische Gesetze zulassen, dort auch gespeichert werden. Datenschützer sehen das anders. So auch der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Peter Schaar. Er sagt, für einen deutschen Absender müsse das Grundrecht Fernmeldegeheimnis gewahrt sein, egal über welche Server die Kommunikation laufe. Derzeit sieht die Regierung deutsches Recht auf deutschem Boden nicht verletzt, auch mit dem Verweis darauf, dass keine Daten an deutschen Internetknotenpunkten direkt abgesaugt worden seien, beispielsweise in Frankfurt am Main. Nur beruht diese Behauptung wohl allein auf einer Aussage des Knotenpunktbetreibers.

Die Informationen haben Anschläge verhindert

Da muss man sehr genau unterscheiden. Tatsächlich konnten in Deutschland Terroranschläge verhindert werden, weil US-Geheimdienste den Deutschen entscheidende Hinweise gaben. Innenminister Friedrich sprach zunächst von fünf Anschlägen, sein Sprecher relativierte diese Aussage einige Tage später – und im Innenausschuss des Bundestags am vergangenen Mittwoch war dann von sieben Anschlägen die Rede. Dabei handelt es sich um die Sauerlandgruppe, die Düsseldorfer Zelle sowie einen verhinderten Anschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten in Berlin. Es waren aber auch Anschlagsversuche dabei, die noch in einem sehr frühen Planungsstadium waren, wie beispielsweise ein Anschlagsplan auf den Flughafen Frankfurt. Alle sieben Fälle, so sagen Mitglieder des Innenausschusses, seien den Obleuten aus den Jahren davor bekannt. Nur heißt das noch nicht, dass die Amerikaner diese Informationen wirklich aus Prism gewonnen haben. Denn bekommt ein deutscher Geheimdienst eine Information von einem befreundeten Dienst, beinhaltet das nicht die Rohdaten, also die Quelle der Information. Damit ist unklar, ob es sich um menschliche Quellen oder technische handelt. Demnach könnten die Hinweise auch aus menschlichen Quellen stammen. Das zu überprüfen, dürfte aber schwer werden.Christian Tretbar

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