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Mann im Ring. Frank Henkel musste ganz schön einstecken, als er im September 2013 einem jugendlichen Boxer im Neuköllner Brennpunktprojekt Kick gegenübertrat.

© picture alliance / dpa

Frank Henkel und Berlins Olympia-Bewerbung: 15 Minuten für die Ewigkeit

Selten hat ein Politiker Gelegenheit, in so kurzer Zeit so viel zu bewirken. Wenn Frank Henkel beim Deutschen Olympischen Sportbund für Berlin wirbt, muss er begeistern. Dafür hat er nur eine Viertelstunde Zeit. Vielen gilt der Innensenator als Zauderer. Kann er überzeugen?

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Er wirkt wie die Ruhe selbst. Frank Henkel sitzt mit verschränkten Armen, leger im beige-braunen Pullover neben seinem Staatssekretär. Es ist an diesem Freitag an Andreas Statzkowski, ein flammendes Plädoyer für die Spiele in Berlin zu halten. Seine Zuhörer: der Sportausschuss des Abgeordnetenhauses. Henkel beobachtet ihn von der Seite, ein bisschen amüsiert ob des temperamentvollen Auftritts. Statzkowski ist sein wichtigster Olympia-Arbeiter.

Am Sonntag und Montag muss Sportsenator Henkel selber sprechen. Da kommt es auf ihn an. Auf jedes Wort. Er steht für Berlin. Frank Henkel hat 15 Minuten Zeit, um Sportfunktionäre und Experten davon zu überzeugen, dass Berlin die beste, die einzige, die perfekte Stadt in Deutschland für das olympische und paralympische Fest 2024 ist.

Henkel hat "Respekt vor der Aufgabe"

In Frankfurt am Main geht es nicht um einen Wahlsieg, wer fünf Jahre lang Berlin regieren darf, wer diesen oder jeden Posten bekommt, hierfür oder dafür ein paar Millionen ausgeben darf. Es geht um Olympia, ein Milliardenprojekt mit weltweiter Ausstrahlung, das die Hauptstadt im besten Fall für ein, zwei Jahrzehnte prägen könnte. Frank Henkel kann an diesem Sonntag ab 15 Uhr im „Hotel Lindner“ vor Vertretern der 34 deutschen Olympischen Sportverbände die Zukunft der Stadt maßgeblich beeinflussen.

„Ich habe Respekt vor der Aufgabe. Und ich freue mich auf die Präsentation, weil ich von unserem Konzept total überzeugt bin“, erzählt der 51-jährige Politiker drei Tage vor seinem Auftritt. Nervös sei er nicht. Der Christdemokrat hat sich gut vorbereitet. Das Grundgerüst der Präsentation hat die Agentur „Zum Goldenen Hirschen“ ausgearbeitet. Der Olympia-Lenkungskreis mit Vertretern von Berlin Partner, Senatskanzlei, Landessportbund, Profi-Sportvereinen beurteilte die erste Version als „etwas zu uninspiriert“, wie es hieß. Dann wurde nachgearbeitet. Jetzt soll die Präsentation lebendiger und dynamischer sein.

Kann Henkel die Kür?

Am Freitagabend haben sich in der Innenverwaltung noch einmal die Fachleute getroffen und sind erneut den Auftritt durchgegangen. „Jetzt sitzt er“, erzählt am Sonnabend ein Teilnehmer der Runde. Die Generalprobe vor der ersten Präsentation wird Sonntagvormittag in einem Tagungssaal im „Hotel Lindner“ sein. Dann muss Frank Henkel zeigen, ob er sich nicht nur auf Pflichten, sondern auch auf die Kür versteht, die die Wirkung eines Menschen ausmacht.

Das hat es schon einmal gegeben, dass ein Politiker einen solchen Wettbewerb mitentschieden hat. 2003, als es um den deutschen Kandidaten für die Sommerspiele 2012 ging. Damals war Hamburg der Favorit. Doch dann setzte sich Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee auf die Bühne und spielte auf dem Cello „Dona nobis pacem“. Ein bewegender Moment. Leipzig bekam den Zuschlag. Was danach passierte, ist eine andere Geschichte.

Kleinigkeiten können den Ausschlag geben

Jetzt ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Berlin und Hamburg, den beiden größten deutschen Städten. Berlin habe international größere Chancen. Aber Hamburg die besseren Aussichten, die Olympiabewerbung auch von der eigenen Bevölkerung tragen zu lassen. Daher wägen die Präsidiumsmitglieder des DOSB, des Deutschen Olympischen Sportbunds, gerade alle Argumente ab, bevor sie am Montag ihre Entscheidung treffen. Bei einer solchen Konstellation können Kleinigkeiten entscheiden. Die Funktionäre wollen begeistert, mitgerissen werden von Leuten, die es ernst meinen, die man nicht aufhalten kann. Widerstände gibt es später noch genügend.

Frank Henkel kann, wenn er will, überzeugen. Er ist glaubwürdig, der seriöse Politikertyp, dem man im Gegensatz zu vielen anderen nicht die Art Trickserei zutraut, die seine Gegner eiskalt ins Abseits manövrieren würde. „In all meinen politischen und sportlichen Wettkämpfen begegne ich meinem Gegner mit Respekt“, sagt er, und das soll auch diesmal für seinen Hamburger Amtskollegen Michael Neumann gelten.

Aber ob Fair Play und ein gutes Konzept ausreichen? Einer aus der Berliner Delegation sagt, er hoffe, dass Henkel die Präsentation schon „mit ein bisschen Emotion rüberbringt“.

Weil, es ist ja nun so, dass Henkel bisher stets ein wenig verspannt und steif wirkte bei diesem Thema, das nicht zu den Kernaufgaben seines Innenressorts gehört, aber umso mehr emotionalen Spielraum eröffnet. Flüchtlinge, Drogen, Görlitzer Park. Bei Olympia kann man ins Schwärmen geraten.

Henkel hat nichts von einem Steve Jobs

Zweimal war Henkel bisher Gast bei Olympischen und Paralympischen Spielen in Sotschi und in London. Er war dabei, als am 7. August 2012 Robert Harting Olympia-Gold für die deutschen Leichtathleten in London holte. Im fünften Versuch flog die Scheibe des Welt- und Europameisters aus Berlin auf 68,27 Meter. Als die Konkurrenz nicht nachziehen konnte, ballte Harting die Siegerfaust und zerriss sein Trikot. Er habe damals diese emotionale Welle, diese Begeisterung im Stadion gespürt, schwärmt Henkel heute noch. Aber kann er selbst solche Emotionen, solche Begeisterungen auslösen?

Frank Henkel hat nichts von einem Steve Jobs, der den öffentlichen Auftritt wie kein Zweiter zelebrieren, seine Ideen als geniale Zukunftskonzepte erlebbar machen konnte. Aber Henkel ist überzeugt, vom Konzept, dem Auftritt und von sich. Er habe sich in solchen Momenten immer auf sich selbst konzentriert. „Und damit bin ich auch gut gefahren.“

Henkel wird wohl über seine Ost-West-Biografie sprechen

Er wird wohl über seine Ost-West-Biografie sprechen. Über seine Jugend in Ost-Berlin, seine Ausreise 1981 nach West-Berlin, über Berlin als Stadt der Freiheit. Darin könnte Henkels Chance liegen, seinem Auftritt einen emotionalen Überbau zu geben. In der Präsentation übernimmt er den Hauptpart, vielleicht acht, neun, zehn Minuten. In seiner Jugend, als er beim damaligen Post SV boxte, waren die Ringzeiten bedeutend kürzer. Es gibt zwei Einspieler und die Auftritte von prominenten Sportlerinnen, der Berliner Hockey-Olympiasiegerin Natascha Keller, die aus einer Hockey-Dynastie stammt, und von Daniela Schulte, der blinden mehrfachen Paralympics-Siegerin im Schwimmen.

Das Protokoll hat ihm seine Aufgabe zugespielt. Bisher ist Henkel jedenfalls nicht gerade als das Gesicht der Berliner Bewerbung aufgefallen. Die größte Präsenz zeigten der Präsident des Landessportbunds, Klaus Böger, und Kaweh Niroomand, der Manager des deutschen Volleyballmeisters BR Volleys, sie begleiten Henkel nun nach Frankfurt.

Mit dabei sind auch die Staatssekretäre Engelbert Lütke Daldrup und Statzkowski. Die Experten sind für Fragen mitgekommen, die nach der 15-minütigen Präsentation an sie gerichtet werden könnten. 45 Minuten Zeit haben die Vertreter der Spitzenverbände und Experten für Nachfragen. Wenn man beim DOSB nachfragt, wer denn in den beiden Städten die Olympiabewerbung politisch repräsentiere, geht aus der Antwort eine gewisse Asymmetrie hervor: Michael Neumann und Michael Müller, heißt es da. Hamburgs Sportsenator und Berlins Regierender Bürgermeister.

Spät aus der Deckung gekommen

Und Henkel? Ja, den gibt es auch noch. Warum hat er sich als Sportsenator bisher nicht das größte Thema gegriffen, das der Sport zu bieten hat? Liegt ihm der Wettbewerb und das Ungeschützte eines Duells persönlich nur nicht?

Im vergangenen Jahr, als Hamburg schon richtig in Schwung gekommen war, hing Berlins Olympiabewerbung in der Luft. Mehr noch, Berlin hatte den Start für die Bewerbung komplett verpasst und verpatzt. Als im Frühjahr vor einem Jahr DOSB-Obere mit Wowereit und Berliner Sportvertretern über die Olympiabewerbung diskutierten, wären die DOSB-Vertreter „am liebsten nach einer halben Stunde aufgestanden und gegangen“, sagte damals ein Teilnehmer. So sehr habe Wowereit über das Internationale Olympische Komitee (IOC) und das Gebaren der Sportverbände gelästert. Regelrecht „traumatisiert“ sei DOSB-Präsident Alfons Hörmann damals gewesen. Dann dankte Klaus Wowereit ab.

Auch sein Nachfolger Michael Müller ließ sich im Dezember erst einmal Zeit mit seiner Entscheidung, ob er dieses Projekt wirklich zu seinem machen sollte. Das DOSB gab ihm noch mal Zeit, indem es eine weitere Umfrage als mitentscheidendes Kriterium ankündigte.

Und Henkel?

In der Zeit des politischen Machtvakuums war er „abgetaucht“. Henkel wartete, hielt sich wieder mal an die Regeln. Er wartete wie ein Staffelläufer an seinem Platz. Aber es kam lange keiner, der ihm den Stab hätte übergeben können. Henkel wollte daraus auch kein Einzelrennen machen. Das passt auch nicht zu ihm. Henkel weiß, dass er ohne die SPD keine Chance hatte, ein riesiges Projekt wie Olympia politisch anzuschieben. So wartete er auf Müller.

Der Hamburger Konkurrent Neumann scheint fit

Jetzt kommt es zum Duell mit seinem Hamburger Kollegen. Der hat sich über Jahre fit gemacht. Michael Neumann, 44, verheiratet mit Aydan Özoguz, der Bundesbeauftragten für Migration, dokumentiert auf seiner Internetseite seit 2008 unter dem Titel Senatoren-Sport seine Aktivitäten. Vom Laufen übers Radfahren bis zum Rudern. Da scheint einer immer besser in Form zu kommen. Neumanns Omnipräsenz wird überall gelobt, von Sportfunktionären, von Sportpolitikern.

Diese Wahrnehmung ärgert Henkel. Er habe in den letzten Monaten unzählige Vereine, Wirtschaftsunternehmen, Funktionäre getroffen, mit ihnen geredet und für Olympia geworben, sagt er. Das erkennen zwar Sportpolitiker der Opposition an, kritisieren aber, dass er „viel zu spät“ aus der Deckung gekommen sei.

Wer ging zuerst nach Hause - Henkel oder Neumann?

Bei einer der wichtigsten Vorkämpfe, der Mitgliederversammlung des DOSB im Dezember in Dresden, saßen Henkel und Neumann beim bunten Abend erst nebeneinander. Aber dann sei Henkel um halb eins nicht mehr zu sehen gewesen, sagen Beteiligte, während Neumann noch auf der Galerie mit Gästen plauderte. Doch Henkel sagt: Er sei noch bis 0.30 Uhr da gewesen und sei nicht vor Neumann gegangen.

Einen Tag später dann, als der DOSB sein Präsidium neu wählte, verließ Henkel beim offiziellen Ende den Saal und fuhr nach Hause. Neumann stand da noch auf der Tribüne und gratulierte fröhlich den neu gewählten Mitgliedern der DOSB-Spitze.

Entscheidung am Montag

Wer präsentiert seine Stadt besser, wer kann die Sportfunktionäre von den Vorzügen seiner Metropole überzeugen, denn das sind sie ja beide? Berlin wird seine Trümpfe ausspielen: die Internationalität, Übernachtungskapazitäten, die gute Verkehrsinfrastruktur, die Nachhaltigkeit und die Sportstätten, die schon vorhanden sind – einschließlich des Olympiastadions. Das müsste Hamburg noch bauen. In Berlin kursiert schon ein Witz: Was wollen die Hamburger mit einem Stadion? Sollen dort etwa Schiffe anlegen?

Tatsächlich haben die sich das fast genau so gedacht. Am Montagabend will das DOSB-Präsidium seine Empfehlung für Berlin oder Hamburg als Ausrichterstadt aussprechen. Deutlicher wird Henkel wohl nicht gesagt werden können, ob er er ein Sieger- oder Verlierertyp ist. 15 Minuten sind nicht viel Zeit.

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