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Nach der Räumung eines Lagers in der Nähe von Lyon suchen Roma nach einer neuen Bleibe.

© AFP

Frankreich: Das gebrochene Versprechen

Der sozialistische Präsident François Hollande lässt illegale Roma-Lager räumen - obwohl er im Wahlkampf ankündigte, dass er den Betroffenen Vorschläge für eine angemessene Unterbringung machen wolle

Es war eine der Verpflichtungen, die François Hollande im Präsidentschaftswahlkampf zu Beginn dieses Jahres eingegangen war. Ohne Erlaubnis errichtete Lager der Roma sollten nicht mehr aufgelöst werden, ohne den Betroffenen Vorschläge für eine angemessene Unterbringung zu machen, hatte der sozialistische Kandidat seinerzeit erklärt. Inzwischen sind seit der Wahl drei Monate vergangen und das Versprechen, mit dem sich Präsident Hollande von seinem konservativen Vorgänger Nicolas Sarkozy abzuheben versuchte, scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Wie die frühere Regierung lässt auch das neue Kabinett illegale Lager von Roma räumen. Allerdings wurde den Roma außer Prämien zur Rückkehr in ihre Heimatländer bisher nichts angeboten.

Die bisher spektakulärste Räumung, die im sommerlichen Frankreich allerdings kaum Aufsehen erregte, fand vergangene Woche in Villeneuve d’Ascq in der Nähe der nordfranzösischen Stadt Lille statt. Am frühen Morgen rückten die Ordnungskräfte mit Abschleppwagen und Bussen an, um die dort seit zwei Jahren hausenden 200 Roma mit ihren Wohnwagen abzuholen. Unter ihnen waren 60 Kinder. Um elf Uhr war die Räumung ohne Zwischenfälle beendet und das Gelände so gesichert worden, dass eine Rückkehr der Roma nicht mehr möglich war.

Die Auflösung des Lagers war von Innenminister Manuel Valls verfügt worden. Ein Gericht hatte zuvor einer Klage von Anwohnern stattgegeben. Sie hatten sich über „Belästigungen, mangelnde Sicherheit und gravierende sanitäre Probleme“ in dem unmittelbar an ihr Wohngebiet angrenzenden Lager beschwert. „Die Spannungen waren untragbar geworden“, sagte Maryvonne Girard, die für Sicherheitsfragen zuständige stellvertretende Bürgermeisterin des Orts.

Wohin die Bewohner des aufgelösten Lagers gebracht wurden, ist nicht bekannt. Vorschläge für eine alternative Unterbringung sind ihnen nach einem Bericht der Zeitung „Le Figaro“ nicht gemacht worden. „Jetzt werden sie wohl umherirren und nach einem neuen Platz suchen, auf dem sie sich niederlassen können“, schreibt das konservative Blatt.

Die Räumung des Lagers bei Lille ist die bisher größte Räumungsaktion, die auf das Konto der neuen Regierung unter Hollande geht. Zuvor waren bereits illegale Lager bei Paris, Lyon und Marseille aufgelöst worden. Auch in diesen Fällen, die etwa 300 Personen betrafen, liegen keine Informationen über eine anderweitige Unterbringungen vor. Stattdessen wurden den Roma Prämien für die „freiwillige“ Rückkehr in ihre Heimatländer angeboten. Davon machten etwa 240 Roma aus Rumänien Gebrauch. Mit 300 Euro pro Erwachsenen und 100 Euro für jedes Kind bestiegen sie vergangene Woche in Lyon ein Flugzeug Richtung Rumäniens Hauptstadt Bukarest.

Das Vorgehen der sozialistischen Regierung in Paris hat Vertreter linker politischer Parteien sowie von humanitären Organisationen auf den Plan gerufen. Die Vereinigung „Solidarität mit den Roma“ kritisierte, dass diese Bevölkerungsgruppe erneut „stigmatisiert“ werde. Die Grünen warfen Präsident Hollande vor, sein Wahlversprechen „brutal“ zu brechen. Die linke „Neue Antikapitalistische Partei“ erklärte, die „Jagd“ auf Roma gehe „wie unter Nicolas Sarkozy“ weiter. Sarkozy hatte im Sommer 2010 nach Zusammenstößen zwischen Roma und der Polizei die Präfekten angewiesen, wilde Lager aufzulösen und die Betroffenen auszuweisen.

Wie vor zwei Jahren schaltete sich jetzt auch die EU-Kommission ein. Sie stellte den Umgang der französischen Behörden mit den Roma „unter Beobachtung“. Man wolle sicherstellen, dass die Behandlung der Roma bei der Auflösung der Lager geltenden rechtlichen Regelungen entsprechen, erklärte eine Sprecherin. Die EU-Kommissarin Viviane Reding hatte 2010 Frankreich mit einem Verfahren wegen Verletzung des Rechts auf Freizügigkeit von Personen gedroht. Der Streit war dann beigelegt worden. In einem Bericht des Europarats wurde Frankreich später dennoch verurteilt.

Innenminister Valls verteidigte sein Vorgehen als „gemäßigt, aber fest“. Die Existenz der Lager sei eine „Herausforderung“, ihre Auflösung aus sanitären Gründen geboten. Die Roma würden weder stigmatisiert noch würden sie gejagt, erklärte Valls’ Ministerium. Es verwies darauf, dass die Behörden auf der Grundlage gerichtlicher Beschlüsse handelten. Kommunalpolitiker der Linken wie der Rechten hatten die Auflösung der Lager gefordert. Den Präfekten würden auch, anders als unter Sarkozy, keine zahlenmäßigen Vorgaben zur Ausweisung von Roma unabhängig von Entscheidungen der Justiz erteilt. Jeder Beschluss zur Ausweisung werde richterlich kontrolliert.

Rund 9500 Roma hatten 2010 Frankreich laut Angaben von humanitären Organisationen verlassen müssen. Von ihnen waren vermutlich viele später wieder zurückgekommen. An der Zahl der in Frankreich lebenden etwa 15 000 Roma hat sich unabhängig von den jeweiligen Regierungsmaßnahmen über die Jahre hinweg jedenfalls wenig geändert. Auch Innenminister Valls räumt ein, dass das Problem mit Rückkehrhilfen nicht zu lösen sei. Das System der Prämien soll daher „gründlich“ überprüft werden.

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