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Frankreich-Experte Henrik Uterwedde: „Wenn nicht gehandelt wird, droht der Abstieg“

Henrik Uterwedde, stellvertretender Leiter des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg, vertraut der Reformfähigkeit von Frankreichs Präsident Hollande.

Herr Uterwedde, die US-Ratingagentur Moody's hat die Kreditwürdigkeit Frankreichs herabgestuft. Zu Recht?

Ich glaube schon. Wir haben es mit einer Dreifach-Krise zu tun: einer Krise der Staatsverschuldung, einer Wachstums- und Beschäftigungskrise und einer Krise der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie.

Trotzdem zeigt sich Frankreichs Regierung unbeeindruckt von der Herabstufung. Haben wir es hier mit einem Fall von Beratungsresistenz zu tun?
Nein. Frankreichs Präsident François Hollande selbst hat in der vergangenen Woche vor der Presse erläutert, wie dramatisch die Lage ist. Er hat den Schluss gezogen, dass der Hebel umgelegt und ein umfassendes Reformprogramm in Gang gesetzt werden muss. Insofern ist die Herabstufung durch Moody’s in meinen Augen eine etwas späte Rechtfertigung für den dringend notwendigen Reformkurs in Frankreich.

Soll dieser Reformkurs dem Vorbild der „Agenda 2010“ von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder folgen?
Schröder hat eine Legislaturperiode vertan, bevor er in seiner zweiten Amtsperiode den Schritt nach vorne gemacht hat. Frankreich ist heute weiter, als es Deutschland vor der Verkündung der „Agenda 2010“ im März 2003 war.

Sie sehen also keinen Bedarf für eine Schocktherapie, wie sie der ehemalige EADS-Chef Louis Gallois zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gefordert hat?
Frankreich hat in den vergangenen fünf Jahren mit Nicolas Sarkozy einen Präsidenten gehabt, der ununterbrochen ein Fass nach dem anderen aufgemacht hat. Sarkozy hat sein Land sehr unter Stress gesetzt und am Ende verhältnismäßig wenig zustande gebracht – wenn man einmal von seiner Rentenreform absieht. Hollande geht anders vor: Er kündigt an, wohin die Reise geht, und versucht gleichzeitig, die Sozialpartner mitzunehmen. Frankreichs Präsident will den Arbeitsmarkt reformieren und bis Dezember abwarten, welche Vorschläge die Sozialpartner dazu vom Verhandlungstisch mitbringen. Aber er hat auch angekündigt, dass er notfalls auch ohne eine Einigung der Sozialpartner handeln wird. Daran wird man ihn im Januar messen müssen.

Wie werden die Franzosen auf Reformen auf dem Arbeitsmarkt reagieren?
Es wird Protest geben. Deshalb haben in Frankreich auch viele Regierungen in der Vergangenheit vor solchen Reformen zurückgeschreckt. Aber Hollandes Regierung ist geschlossen. Er hat bereits deutlich gemacht, dass dies die letzte Chance ist: Wenn jetzt nicht gehandelt wird, dann droht tatsächlich der Abstieg Frankreichs. Dass die Lage so dramatisch ist, hilft Hollande als linkem Präsidenten letztlich dabei, derart schwierige Reformen durchzusetzen.

Henrik Uterwedde ist stellvertretender Leiter des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg. Mit ihm sprach Albrecht Meier.

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