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Frankreich: Protesttag zieht Millionen Menschen auf die Straße

Am fünften Protesttag gegen den Abbau des Kündigungsschutzes haben die französischen Gewerkschaften und Studentenverbände am Dienstag wieder Millionen Menschen mobilisiert.

Paris - Zu den Kundgebungen von Le Havre bis Marseille und Nantes bis Reims strömten ebenso viele oder mehr Gewerkschafter, Schüler und Studenten als am 28. März, als zwei Millionen Franzosen auf die Straße gegangen waren. Nach Gewerkschaftsgaben waren es auch in Paris erneut 700.000.

Die Gewerkschaft CGT sprach von «über drei Millionen» Demonstranten und damit mehr als eine Woche zuvor, als sie drei Millionen gezählt hatte. Der UMP-Fraktionschef Bernard Accoyer lud Gewerkschaften, Schüler und Studenten unterdessen ein, von Mittwoch an Verhandlungen über die Arbeitsrechtsreform zu beginnen und dabei über alles zu sprechen. Damit könnte Bewegung in den Konflikt kommen.

Dagegen wurden die Streikaufrufe weniger befolgt als vor einer Woche. Starke Behinderungen gab es vor allem im Bahnverkehr. Je nach Region fielen 40 bis 60 Prozent der Züge aus. Etwa sieben von zehn TGV-Schnellzügen fuhren aber normal und internationale Strecken waren kaum betroffen. Der Nahverkehr, der zuletzt in 76 Städten betroffen gewesen war, wurde diesmal nur in 32 Städten gestört und lief in Paris weitgehend normal. Behinderungen im Flugverkehr konzentrierten sich auf Regionalverbindungen. Arbeitsniederlegungen gab es auch bei der Post, an Schulen, in Medien und im Öffentlichen Dienst.

Die Gewerkschaften und Studentenverbände wollen mit den Protesten dem Gesetz zum Ersteinstellungsvertrag (CPE) «den Todesstoß versetzen». Präsident Jacques Chirac hatte das Gesetz am Sonntag mit der Maßgabe in Kraft gesetzt, es nicht anzuwenden. Stattdessen soll die Regierungspartei UMP die Reformgegner anhören und eine Neufassung erarbeiten. Der Chef der Gewerkschaft CGT, Bernard Thibault, bestand am Dienstag aber auf der Abschaffung des CPE. Darüber könne man nicht verhandeln. «Wir fordern alle dasselbe: die Rücknahme des CPE», sagte auch der Chef der Gewerkschaft Force Ouvrière, Jean-Claude Mailly.

«Das ist nicht nur ein französisches Problem, ganz Europa engagiert sich gegen dieses CPE-Projekt», sagte John Monks, der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), in Paris. Der von Chirac vorgeschlagene Kompromiss zum CPE sei nicht akzeptabel. «Es gibt ein vergleichbares System in Griechenland, und wir wissen, dass sich Deutschland und die Niederlande für diesen Plan von (Premierminister) Dominique de Villepin interessieren.»

Das UMP-Gesprächsangebot wurde so verstanden, als könnte die Partei über Chiracs Forderungen - darunter die Halbierung der Probezeit auf ein Jahr - hinausgehen. Chirac forderte aber, bei der Reform «in Einklang» mit dem Premierminister zu bleiben. Villepin beharrt auf dem Prinzip des CPE. Er sagte am Dienstag aber auch, dass es jetzt vorrangig sei, «aus der derzeitigen Krise herauszukommen.»

Die sozialistische Opposition hielt Villepin am Dienstag vor, nicht mehr zu regieren. «Herr Premierminister, wer regiert heute Frankreich, was machen sie auf der Regierungsbank?» Diese Frage stellte der sozialistische Fraktionsvorsitzende Jean-Marc Ayrault im Parlament. Es gebe keine Regierung mehr, seit Chirac es der UMP und ihrem Vorsitzenden Nicolas Sarkozy anvertraut habe, das neue Gesetz vorzubereiten. Ayrault nannte das eine «surrealistische» Situation.

Chiracs Haltung stößt bei den Franzosen auf Unverständnis. In Umfragen erklärten sich sechs von zehn Befragten solidarisch mit der Protestbewegung. 71 Prozent meinten, der Präsident trage zur Radikalisierung der Proteste bei. Angesichts der Verwirrung um die Zuständigkeiten der Staatsinstanzen in dem Konflikt mehren sich die Forderungen nach einer Verfassungsreform. (tso/dpa)

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