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Politik: Frankreich: Schwarze Serie für die Roten?

Frankreich wählt. Na und?

Frankreich wählt. Na und? Die Franzosen selbst scheinen sich nicht groß um ihre Präsidentschaftswahl zu kümmern. Warum sollten wir es dann tun? Schließlich ist uns der Nachbar nicht erkennbar näher gerückt, seitdem wir ein gemeinsames Bargeld in den Händen halten. Frankreich - das war in Europa einmal unser Tandem-Partner, ohne den nichts ging. Aus dem Tandem-Partner ist ein ganz normales EU-Mitglied geworden, übrigens auch aus französischer Sicht. Natürlich verbindet Deutschland und Frankreich in Europa immer noch das Wissen, dass beide zu wichtigen Impulsen für die EU imstande sind. Aber muss uns deshalb die Präsidentschaftswahl in Frankreich zwangsläufig interessieren? Sie sollte es.

Das Spannendste für uns Deutsche ist nicht einmal das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Lionel Jospin und Jacques Chirac. Beide, der Sozialist Jospin und der Konservative Chirac, könnten bei der Stichwahl in zwei Wochen ziemlich genau 50 Prozent der Stimmen einfahren, was allein schon die Franzosen in Atem halten müsste. Aber Wahlkampf-Fieber ist in Frankreich noch nicht diagnostiziert worden - und das liegt vor allem an den beiden Hauptbewerbern. Den einen, Chirac, kennen die Franzosen schon seit Jahren als amtierenden Präsidenten. An den anderen, Jospin, haben sie sich seit 1997 als Premierminister gewöhnt. Einen von beiden werden sie also demnächst als Präsidenten haben, na und? Aber gerade das kollektive Achselzucken der Franzosen und die Politikverdrossenheit, die sich damit verbindet, macht die Wahl auch für uns Deutsche interessant.

Denn in Frankreich droht der erste Wahlgang zum Coming-out für unzufriedene Wähler zu werden, die sich der extremen Rechten und der extremen Linken zuwenden. In Sachsen-Anhalt gibt es auch Unzufriedene und Unentschlossene. Protestwähler könnten die Schill-Partei in den Landtag hieven, aber auch die PDS noch stärker machen. Aber in Frankreich gibt es einen anderen Mechanismus, um solche Wähler schnell wieder einzufangen. Denn die Präsidentschaftswahl ist ein Seismograph, der in der Regel nur zwei Wochen Gültigkeit hat - in der Spanne zwischen dem ersten und den zweiten Wahlgang. Am Ende sehnen sich die Franzosen nach einem starken Präsidenten, der sie führt. Den wählen sie aber erst in zwei Wochen.

Beim heutigen Wahlgang wollen sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen oder gar nicht erst zur Wahl gehen. Vermutlich wird vor allem das Abschneiden des Rechtsextremen Le Pen Erschrecken auslösen, zu Recht. Trotzdem hat das französische Wahlsystem auch seinen Reiz. Wie wäre es, einmal als Gedankenspiel, wenn Schröder und Stoiber über das Potenzial der Unzufriedenen und Politik-Aussteiger genau im Bilde wären? Und in einem zweiten Wahlgang versuchen müssten, alle Protestwähler wieder einzufangen?

Der zweite Punkt, der Frankreichs Präsidentenwahl zum Fallbeispiel macht, hängt mit Europa zusammen. Die Bundesregierung wünscht sich naturgemäß einen Wahlsieg des Sozialisten Jospin, weil dies ein Signal wäre, dass die schwarze Serie für Europas Sozialdemokraten auch ein Ende haben kann. Als Blair, Jospin und Schröder am Ende des vergangenen Jahrhunderts nacheinander in ihre Regierungsämter gewählt wurden, war viel die Rede vom "Dritten Weg" und einem neuen rosaroten Zeitalter. Inzwischen sieht Europa etwas anders aus: Der Konservative José Maria Aznar regiert ein vom Aufschwung verwöhntes Spanien, und auch in Italien, Portugal und Dänemark hat es einen konservativen Umschwung gegeben. Die Franzosen fühlen sich eigentlich ganz wohl und wollen so bleiben, wie sie sind. Das geht aber nicht. Denn ab heute müssen sie sich entscheiden zwischen Jospin und Chirac. Wie viel bleibt von Europas rosaroter Wolke - ab heute Abend sind wir etwas schlauer.

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