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Sarkozy

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Frankreich: Zauberlehrling Sarkozy

Nicolas Sarkozy wird die Geister, die er rief, nicht wieder los. Eine „große Debatte“ über die nationale Identität hatte Frankreichs Präsident gefordert, eine Debatte darüber, „was es heute heißt, Franzose zu sein“. Mit seinen Bemerkungen löst er eine Flut anti-islamischer Parolen aus.

Nicolas Sarkozy wird die Geister, die er rief, nicht wieder los. Eine „große Debatte“ über die nationale Identität hatte Frankreichs Präsident gefordert, eine Debatte darüber, „was es heute heißt, Franzose zu sein“. Die Stichworte zu dem landesweiten Palaver, mit dessen Organisation er den für Einwanderung, Integration und nationale Identität zuständigen Minister Eric Besson beauftragte, lieferte der Präsident selbst. Über die christlichen Wurzeln Frankreichs sollten die Franzosen diskutieren, über die Aufklärung, die Revolution, die Vorzüge der Trennung von Kirche und Staat sowie das Zusammenleben der Bewohner des Landes. Nach nur kurzer Zeit ist die Debatte aus dem Ruder gelaufen.

Statt den Katalog republikanischer Werte zu verinnerlichen, lassen die Teilnehmer von Internetforen, öffentlichen Versammlungen und Mediendiskussion ihren Ressentiments gegen Einwanderer und den Islam freien Lauf. Bisheriger Höhepunkt dieser auf das Niveau der rechtsextremen Nationalen Front abdriftenden Debatte ist ein Beitrag der Staatssekretärin für Familienfragen, Nadine Morano. „Von einem jungen Muslim wünsche ich, dass er Frankreich liebt, wenn er hier lebt, dass er eine Arbeit findet, dass er nicht Verlan (den Slang der Vorstadtjugendlichen, d. Red.) spricht und seine Baseballmütze nicht verkehrt herum aufsetzt“, sagte sie bei einem Bürgertreffen.

Dabei ist es die Nationale Front, auf die es Sarkozy mit seiner Initiative abgesehen hatte. Im März finden Regionalwahlen statt. Da hofft er, für seine Regierungspartei UMP den Erfolg zu wiederholen, den er bei der Präsidentenwahl 2007 erzielte, als er mit Sprüchen zum Nationalen dem Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen Wähler abwarb. So wurden in ganz Frankreich die Präfekten beauftragt, Debatten über ein Thema anzuberaumen, das den Wählern angesichts von Krise und Arbeitslosigkeit nicht unbedingt auf den Fingern brennt. Anfangs saßen die Präfekten denn auch mancherorts vor leeren Sälen. Das änderte sich mit der Schweizer Volksabstimmung für ein Verbot neuer Minarette. Seitdem entwickelt sich die Debatte in einer Weise, die kaum im Sinne ihres Urhebers ist. Statt hehrer Ideen zur Nation sind auf einmal Parolen von Leuten zu vernehmen, welche die Gesellschaft durch Einwanderer muslimischen Glaubens bedroht sehen.

Zu dieser Wende hatte Sarkozy womöglich selbst beigetragen, als er das Verbot neuer Minarette in der Schweiz öffentlich verteidigte. „Europas Völker wollen nicht, dass der Rahmen ihres Lebens, ihre Art zu denken und ihre sozialen Beziehungen denaturiert werden“, erklärte er in der Zeitung „Le Monde“. Dem Islam erkannte er zwar einen festen Platz in Frankreich zu. Er pries die „gegenseitige Bereicherung und Durchdringung der Kulturen“. Aber er ermahnte „diejenigen, die in Frankreich neu ankommen“, ihre Religion in „demütiger Diskretion“ auszuüben. Jede Herausforderung an das christliche Erbe und die Werte der Republik würden das Scheitern des Islams in Frankreich bedeuten.

Damit drückte Sarkozy vermutlich aus, was viele Franzosen denken. Laut einer Umfrage der konservativen Tageszeitung „Le Figaro“ hätten diese mehrheitlich wie die Schweizer gestimmt. Dabei gehört der Islam, die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft im Lande, längst genauso zu Frankreich wie die katholische Kirche. Zum Dank für das Blut, das Soldaten aus den nordafrikanischen Kolonien für die Rettung des Mutterlandes vergossen, wurde nach dem Ersten Weltkrieg die Große Moschee von Paris errichtet. Deren Minarett ragt einen Steinwurf von Notre-Dame entfernt in den Himmel.

Im Schutz der Anonymität des Internets fällt die Ablehnung des Islams noch radikaler aus. 20 Prozent der Beiträge zur Debatte seien wegen ihres fremdenfeindlichen Charakters „nicht publizierbar“, gab Einwanderungsminister Besson zu. Aus Angst vor Provokationen wurde in einigen Präfekturen der Zutritt zu den Debatten auf geladene Gäste oder Schulklassen beschränkt. Dennoch soll die Debatte weitergehen. Ende Januar will die Regierungspartei UMP „konkrete Vorschläge zur Stärkung der nationalen Identität“ verabschieden.

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