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Frankreichs Präsident: Deutschland braucht Macrons politische Leidenschaft

Emmanuel Macron weiß sich zu inszenieren und seine Landsleute zu begeistern. Deutschland kann noch viel vom jungen Präsidenten Frankreichs lernen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Was hat Frankreich, was Deutschland nicht hat? Wieso kann ein französischer Präsident sich selbst und seine Auftritte inszenieren, wie es weder ein Bundespräsident noch eine Bundeskanzlerin jemals wagen dürften? Und warum empfinden die Franzosen, leidenschaftliche Republikaner, den Glanz und die Gloria all der Insignien einer Monarchie als völlig selbstverständlich, während im Nachbarland Deutschland noch im Jahre 2006 das Schwenken schwarz-rot-goldener Fahnen als geradezu geschichtliche Öffnung empfunden wurde?

Was kompliziert klingt, ist ganz einfach: Es geht um Stolz, um Selbstbewusstsein, es geht um ein ungebrochenes nationales Selbstbewusstsein, es geht um Einssein mit der Geschichte, aus der dunkle Phasen wie das Frankreich der Vichy-Ära einfach ausgeblendet werden können. Und es geht darum, dass ein französischer Präsident all diese Gefühle und Traditionen instrumentalisieren, für sich nutzen kann, wenn er Signale des Aufbruchs vermitteln möchte.

Diese Phase erleben wir im Moment in unserem Nachbarland, und mit Emmanuel Macron hat sich ein Staatsoberhaupt gefunden, das zu jung ist, als dass man es ihm als konservativen, gar restaurativen Zug unterstellen könnte, wenn er alle 577 Abgeordneten und 348 Senatoren in das ehemalige Königsschloss von Versailles zu einer gemeinsamen Sitzung einlädt. Das hat es schon früher gegeben, aber nie zu Beginn einer Präsidentschaft, eher in Stunden der Sorge. François Hollande hatte so nach den furchtbaren Anschlägen im November 2015 die Franzosen um sich geschart.

Ohne Anstrengung wird Frankreich nicht wieder auf sich stolz sein können

Was jetzt die Inszenierung des 39-Jährigen ganz am Beginn seiner Präsidentschaft so glaubhaft macht, ist der Moment, in dem er die republikanischen Garden zum Spalier in Versailles antreten ließ: Es ist keine Stunde des Triumphes, sondern eine der Selbstbesinnung und des Aufbruchs. Frankreich geht es nicht gut. Das ist seine Botschaft. Und dem folgt die Verheißung: Aber Frankreich hat die Kraft, wieder alte Größe zurückzugewinnen, politisch und wirtschaftlich. In diesem geradezu theatralischen Moment, einen Tag vor der Regierungserklärung seines Premierministers Edouard Philippe, desavouiert er diesen nicht etwa, stiehlt ihm nicht, wie es manche Kommentatoren und vor allem auch die innenpolitischen Widersacher deuten, die Show – nein, das Gegenteil ist der Fall. Die Botschaften des 46-jährigen Philippe und des sieben Jahre Jüngeren sind bedeutungsgleich.

Der Präsident sagt am Montag in Versailles appellativ: „Es bedarf der wiedergefundenen Würde von jedem von uns.“ Was er meint: Ohne Anstrengung wird Frankreich nicht wieder auf sich stolz sein können. Und sein Regierungschef sagt einen Tag später, weniger präsidentiell, weit direkter: „Frankreich hat sich unfähig erwiesen, seinen rechtlichen und moralischen Verpflichtungen gerecht zu werden.“ Das war die niederschmetternde Diagnose – allerdings im Rückblick auf eine Zeit, für die politisch weder Macron noch Philippe die Verantwortung tragen. Eben die alte Zeit, in der Frankreich und seine Eliten sich gehen ließen, in denen ein konservativer Präsident Sarkozy mit dem Beinamen „Bling-bling“ veralbert wurde und ein sozialistischer, François Hollande, für seine eigene Demontage sorgte. Für die Zukunft jedoch lautet die Botschaft so: „Frankreich ist zurück. Und vor allem in Europa."

Warum soll Leidenschaft in der Politik verboten sein?

Emmanuel Macron adressiert die politische Spitze seines Landes in Versailles respektvoll so: Meine Damen und Herren Parlamentarier. Wenn er die Menschen direkt ansprechen will, wenn er sie einbinden, ermuntern, mit sich solidarisieren will, redet er anders. Dann knüpft er an Charles de Gaulle an, der am 27. Juni 1958, nach seiner Rückkehr an die Macht, in seiner ersten Fernsehansprache Frankreich beschwörend zurief: „Françaises! Français! Aidez-moi!“ – Französinnen! Franzosen! Helfen Sie mir!

Die gleichen Worte benutzte er wieder, drei Jahre später, am 23. April 1961, nach dem Putsch der Generäle in Algier. Und die Franzosen halfen ihm. Man sagt Emmanuel Macron nach, er agiere wie Charles de Gaulle, wie François Mitterand. Das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ist dies: Einem jungen Menschen wie Macron, der das Leben noch vor sich hat, nehmen seine Landsleute diese Mischung aus Verstand und Leidenschaft ab. Beides zusammen kann in der Politik eine unglaublich starke Triebfeder sein. Deutschland ist anders, klar. Aber wo steht geschrieben, dass Leidenschaft in der Politik bei uns verboten sei?

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