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Politik: "Französinnen schütteln da nur mit dem Kopf"

Renate Schmidt (57) ist stellvertretende Vorsitzende der SPD und schlägt ihrer Partei ein radikal neues Familienbild vor. Frau Schmidt, Sie haben den Leitantrag für den SPD-Parteitag erarbeitet, der in zwei Wochen stattfindet.

Renate Schmidt (57) ist stellvertretende Vorsitzende der SPD und schlägt ihrer Partei ein radikal neues Familienbild vor.

Frau Schmidt, Sie haben den Leitantrag für den SPD-Parteitag erarbeitet, der in zwei Wochen stattfindet. Hat die Familienpolitik in Zeiten des Krieges noch den gleichen Stellenwert wie vorher?

Natürlich treten innen- und außenpolitischen Fragen nun in den Vordergrund, und wir haben der Debatte über die Bekämpfung des Terrorismus auf unserem Parteitag mehr Platz gegeben. Trotzdem hat die Familenpolitik noch einen sehr prominenten Stellenwert und genügend Debattenzeit. Das ist wichtig. Denn gerade in Zeiten, in denen die Menschen sehr verunsichert sind, ist das Bedürfnis nach Familie stark. Das sehe ich an vielen Briefen zum Thema.

Wir lernen nun, dass Sicherheit wichtig ist und sehr viel Geld kostet. Besteht nicht die Gefahr, dass für Familienpolitik dann nur noch wenig übrig bleibt?

Zum Thema Online Spezial: Terror und die Folgen Themenschwerpunkte: Krieg - Afghanistan - Bin Laden - Islam - Fahndung - Bio-Terrorismus Fotostrecke: Der Krieg in Afghanistan Ich habe kein einziges Wort von Finanzminister Hans Eichel gegen unseren Vorschlag gehört, das Kindergeld schrittweise zu erhöhen, bis wir den Betrag erreicht haben, den der Steuervorteil für Spitzenverdiener ausmacht. Wir haben immer gesagt, dass die Haushaltslage maßgebend ist. Natürlich kann es sein, dass es nun etwas länger dauert. Wir werden das Ehegattensplitting umgestalten - in der kommenden Legislaturperiode soll die Bundesregierung das prüfen und umsetzen. Damit eröffnen wir zusätzliche finanzielle Spielräume, die nicht im Verteidigungshaushalt aufgehen dürfen, sondern der Familienpolitik zu Gute kommen.

Sie haben auf einer Reise durch europäische Länder deren Familienpolitik studiert. Sind wir ein rückständiges Land?

Frauen in Frankreich oder Skandinavien würden überhaupt nicht verstehen, womit wir uns hier herumplagen. Es geht in der Familiendebatte nicht mehr um ideologische Fragen, sondern darum, wie man ganz praktisch die Versäumnisse von 30 Jahren korrigiert. Da müssen wir schrittweise, und zwar nicht in zu kleinen Schritten, europäischen Standard erreichen.

Sehen Sie Nachholbedarf bei der finanziellen Unterstützung oder eher bei den Betreuungsangeboten?

Wir haben das höchste Kindergeld in der EU, die meisten steuerlichen Erleichterungen für Ehepaare, wir haben nach einer Studie der Universität Frankfurt 155 unterschiedliche finanzielle Leistungen für Familien, die von 38 unterschiedlichen Ämtern verwaltet werden. Was die finanziellen Rahmenbedigungen angeht, sind wir gar nicht so schlecht. Wir sind schlecht bei den Betreuungseinrichtungen. Da müssen wir versuchen aufzuholen. Krippenplätze stehen nur für fünf Prozent der Kinder, Hortplätze je nach Bundesland nur für durchschnittlich zehn Prozent der Kinder zur Verfügung. Bei solchen Zahlen schütteln Schwedinnen, Däninnen oder Französinnen doch nur mitleidig den Kopf.

Es geht Ihnen nicht nur um Angebote des Staates für die Familien, sondern auch um das Familienbild. Sie schlagen der SPD ein sehr positives Familienmodell vor. Fühlen sich da nicht die Vertreterinnen der Gleichberechtigung benachteiligt?

Meine Partei hat das sehr viel besser angenommen, als ich dachte - auch die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen. Warum sollten wir die Familie an den Pranger stellen? Das Bild der Familie als eine Institution, die Gewalt und Repression produziert, ist wirklich passé. Familien sind die Leistungsträger dieser Gesellschaft und müssen gestärkt werden, auch durch die richtigen Rahmenbedingungen. Natürlich sind Familien heute vielfältiger, als sie es vor 20 oder 30 Jahren waren. Dem wollen wir Rechnung tragen, ohne die so genannte Normalfamilie aus dem Auge zu verlieren.

Ist Familienpolitik allein eine Aufgabe des Staates?

Wir wollen einen Mentalitätswechsel für die Familie. Uns ist wichtig, dass wir nicht nur den Staat in die Pflicht nehmen, sondern auch die Unternehmen und die Gewerkschaften. Von beiden Seiten haben wir Signale, die mich sehr optimistisch stimmen. Der Bundeskanzler will Familienpolitik zum Thema des Bündnisses für Arbeit zu machen, Verdi-Chef Bsirske wie auch Arbeitgebervertreter sind dem gegenüber auch sehr aufgeschlossen. Wir haben einen Mangel an familienfreundlichen Arbeitszeiten, wir haben einen Mangel an familienunterstützenden Hilfen durch die Betriebe. Auch die Unternehmen sollen ihre Verantwortung anerkennen, die Gewerkschaften ihre Betriebsräte anregen, Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge etwa mit familienfreundlichen Arbeitszeiten oder Teilzeitbeschäftigung für Eltern zu vereinbaren.

Frau Schmidt[Sie haben den Leitantrag für de]

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