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Politik: „Franzosen sehen in Stoiber einen Kohl-Ersatz“

Kanzlerberaterin Brigitte Sauzay über falsche Erwartungen – und den großen Einfluss der Regierungen auf Europa

Frau Sauzay, die deutsch-französischen Gespräche am heutigen Dienstag finden in neuer Besetzung statt. Was können die Deutschen von der konservativen Pariser Regierung erwarten?

Premierminister Jean-Pierre Raffarin hat sich in seiner ersten Regierungserklärung vor der französischen Nationalversammlung sehr eindeutig zum deutsch-französischen Verhältnis geäußert. Danach will er die Zusammenarbeit mit Deutschland vertiefen – auch im gemeinsamen Interesse für Europa.

Präsident Jacques Chirac hat aber zugleich deutlich gemacht, dass er lieber mit einem Bundeskanzler Stoiber zusammenarbeiten würde als mit Gerhard Schröder.

So klar hat Chirac das nicht gesagt. Man spürt jedoch, dass die Franzosen in Stoiber eine Art Kohl-Ersatz sehen. Mit Stoiber als Partner, so glauben sie, wird das Deutschland der 80er Jahre wieder auferstehen. Das halte ich jedoch für eine Fehleinschätzung. Gerhard Schröder hat Deutschland nicht verändert, sondern das Land selbst hat sich verändert. Und weil es sich verändert hat, ist Gerhard Schröder heute Kanzler.

Hat nicht auch die Tatsache, dass Schröder sich stärker an Tony Blair orientiert hat, dazu beigetragen, dass man ihn in Paris mit Misstrauen betrachtet?

Das hat vielleicht am Anfang der Regierungszeit von Gerhard Schröder eine Rolle gespielt. Doch das ist längst Vergangenheit.

Wie bewerten Sie Schröders Europa-Politik?

Schröder hat viel für Europa getan. Er hat sich sehr für den EU-Konvent eingesetzt und sich aktiv an der Debatte über die künftige politische Organisation Europas beteiligt. Er versteht und vertritt die tieferen Interessen Europas und weiß, dass Deutschland nicht außerhalb Europas zu denken ist. Im Alltag muss der Bundeskanzler aber auch die Interessen seines eigenen Landes vertreten. Das ist ganz normal.

Hat sich das Verhältnis des Bundeskanzlers zu Frankreich durch Ihre Arbeit verändert?

Das müssen Sie vor allem ihn selbst fragen. Ich hoffe aber, ich habe es geschafft, ihm Frankreich verständlicher zu machen – und auch reizvoller. Begleitet durch meinen Arbeitsstab bemüht sich der Bundeskanzler besonders um die Entstehung einer grenzüberschreitenden Öffentlichkeit. So haben wir in den vergangenen vier Jahren eine deutsch-französische Filmakademie gegründet, das Schüleraustauschprogramm Voltaire auf den Weg gebracht und eine gemeinsame Journalistenausbildung. Diese Projekte sind auch Gegenstand des Gipfels in Schwerin, wo die Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit ein wichtiges Thema ist.

Wird sich mit einer deutsch-französischen Öffentlichkeit irgendwann auch die politische Zusammenarbeit verändern?

Bis zu einem gewissen Grad schon. Dennoch werden beide Nationen weiter bestehen. Die deutsche und französische Kultur sind sehr unterschiedlich, und das werden sie auch bleiben. Das macht ja gerade den Reiz der deutsch-französischen Beziehungen aus. Wichtig für Europa ist in diesem Zusammenhang, dass Deutschland und Frankreich mit ihrer Kultur jeweils auch andere Staaten in der Union repräsentieren. Deshalb ist es so wichtig, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit funktioniert.

Derzeit steckt das bilaterale Verhältnis allerdings in einer Krise. Könnte ein neuer Grundlagenvertrag zwischen Frankreich und Deutschland dies ändern?

Viel wichtiger als ein neuer Vertrag ist aus meiner Sicht, dass beide Seiten klar ihren politischen Willen zur Fortführung der engen Beziehungen bekunden.

Ist das Sonderverhältnis angesichts der Erweiterung der Europäischen Union denn überhaupt noch zeitgemäß?

Dieses Verhältnis kann sicher nicht die einzige Grundlage für die Union bleiben. Doch auch für die Zukunft gilt: Wenn Deutschland und Frankreich nicht einverstanden sind, wird sich in Europa nichts bewegen.

In Schwerin trifft ein französischer Präsident, der nach seiner Wiederwahl und der Wahl einer konservativen Regierung fest im Sattel sitzt, auf einen Kanzler, der um sein Überleben kämpft. Belastet dieses Ungleichgewicht die Zusammenarbeit?

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat jeder Präsident gemeinsam mit seinem deutschen Partner ein bedeutendes europäisches Projekt verwirklicht. Jacques Chirac weiß, dass er die Reform der politischen Organisation Europas zum Erfolg führen muss, wenn er in die Geschichte eingehen will. Deshalb wird er zu einem Kompromiss bereit sein – ebenso wie Gerhard Schröder, mit dem er dieses Projekt verwirklichen muss.

Das Gespräch führten Albrecht Meier und Ulrike Scheffer.

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