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Frauenquote: Jeder dritte Chef könnte bald eine Chefin sein

Sie macht ihre Drohung ernst: Weil europäische Firmen freiwillig nicht genug Frauen in Führungspositionen bringen, will EU-Kommissarin Viviane Reding die Quote nun gesetzlich regeln.

„Falls bis Ende 2011 keine glaubwürdige Selbstregulierung gelingt“, so hatte EU-Grundrechtekommissarin Viviane Reding vor Jahresfrist angekündigt, „müssen wir ein EU-Rechtsinstrument zur Einführung von Frauenquoten in Aufsichtsräten auf den Weg bringen.“ Ihr Ultimatum ist inzwischen abgelaufen, passiert ist kaum etwas, weshalb in Brüssel der Entschluss gereift ist, gesetzgeberisch aktiv zu werden.

Wie ist der Stand in Europa?

Reding nannte die neuesten Zahlen, die sie ein Jahr nach ihrer Initiative präsentierte, „enttäuschend“. Nur 24 europäische Unternehmen unterzeichneten die von ihr aufgesetzte Selbstverpflichtungserklärung, bis zum Jahr 2015 einen Frauenanteil von 30 Prozent in ihren jeweiligen Aufsichtsräten zu verwirklichen. Bis 2020 streben sie 40 Prozent an. Nur ein einziges deutsches Unternehmen hat die Erklärung unterschrieben: der Biovertrieb „Unser Herrlesbergladen“ – eine Genossenschaft aus Tübingen.

Der Ist-Zustand in Europa hat sich im vergangenen Jahr ebenfalls nur leicht verbessert. So ist der durchschnittliche Anteil von Frauen in Führungsgremien großer Firmen von 11,8 Prozent im Jahr 2010 auf nun 13,7 Prozent geklettert. Die Brüsseler Kommission verwies gestern darauf, dass Frauen bei dieser Steigerungsrate noch etwa 40 Jahre auf eine annähernde Gleichstellung in diesem Bereich warten müssten.

Als eines ihrer Hauptargumente für eine verpflichtende Quote machte Kommissarin Reding geltend, dass die leichten Verbesserungen vor allem jenen Ländern zu verdanken seien, die auf nationaler Ebene schon Gesetze erlassen haben, die Strafen vorsehen, wenn die Quote nicht erfüllt wird. Das ist in Italien, Belgien und Frankreich der Fall. Westlich des Rheins ist der weibliche Anteil in Aufsichtsräten in nur einem Jahr von zwölf auf 22 Prozent gestiegen. Vorbild ist das Nicht-EU-Land Norwegen, wo die seit 2003 vorgeschriebene Quote gut eingehalten wird. Auch in den Niederlanden und Spanien gibt es Gesetze, die allerdings keine harten Sanktionen vorsehen. In Dänemark, Finnland, Griechenland, Österreich und Slowenien gibt es zwar Regeln zur Zusammensetzung von Aufsichtsgremien, die aber nur für staatliche Unternehmen gelten. Eine einheitliche EU-Regelung mache es damit auch grenzüberschreitend tätig Firmen leichter, so Reding.

Wie soll eine europäische Quote aussehen?

Zu diesem Zweck wird die Öffentlichkeit konsultiert. Bis Ende Mai haben Regierungen, Unternehmen und alle anderen Interessierten Zeit, um Antworten auf folgende Fragen zu geben: Wie hoch soll die Quote sein? 30, 40 oder 50 Prozent? Bis wann soll sie erreicht sein? Wie sollen die Strafen bei Nicht-Erfüllung aussehen? Und soll Brüssel lediglich eine Empfehlung aussprechen oder doch ein Gesetz auf den Weg bringen?

Auf dieser Grundlage will die EU-Kommission anschließend entscheiden, wobei Reding gestern klarstellte, dass sie eine Quotenregelung per Gesetz favorisiert. Nachdem die EU-Kommission ein Gesetz vorgeschlagen hat, beraten und entscheiden das Europaparlament und die 27 EU-Regierungen darüber.

Welche Erfahrungen gibt es in Deutschland mit der Frauenquote?

Wie weit ist die Diskussion in Deutschland?

Dass die schwarz-gelbe Bundesregierung in dieser Wahlperiode eine Frauenquote für die Wirtschaft einführen wird, ist so gut wie ausgeschlossen. Zwar kämpft Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vehement für eine gesetzliche Quote, doch der Widerstand in der Koalition ist groß. Von der Leyen wirbt dafür, dass 30 Prozent der Posten in Vorständen und Aufsichtsräten bis 2018 mit Frauen besetzt werden sollen. Wenn die Unternehmen diese Vorgabe nicht erfüllen, sollen ihnen empfindliche Strafen drohen. Die Zeit der freiwilligen Selbstverpflichtungen sei vorbei, argumentiert von der Leyen, diese hätten in den letzten Jahren kaum Fortschritte gebracht.

So sind derzeit in den 200 größten deutschen Unternehmen unter insgesamt 833 Vorständen gerade mal 21 Frauen, wie eine aktuelle Erhebung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt. „Hier herrscht eine männliche Monokultur“, kommentiert DIW-Forscherin Elke Holst. In den Aufsichtsräten sei der Anteil im Jahr 2011 leicht von 10,6 Prozent im Vorjahr auf 11,9 Prozent gestiegen – mehr als zwei Drittel dieser Frauen sind Vertreterinnen der Arbeitnehmerschaft, die über die Mitbestimmungsregelungen in diese Gremien kommen.

Diese Zahlen führen dazu, dass immer mehr Unions-Frauen sich für eine Quote aussprechen: von der stellvertretenden CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär bis zur saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Sie gehören zu den Unterstützerinnen der „Berliner Erklärung“ – einer Petition, die im Dezember 2011 initiiert wurde und in der Frauen parteiübergreifend für eine Quote von 30 Prozent in den Aufsichtsräten der börsennotierten, mitbestimmungspflichtigen und öffentlichen Unternehmen eintreten. Doch Familienministerin Kristina Schröder (CDU) hält von einer solchen festen Quote nichts: Sie wirbt stattdessen für eine Verpflichtung der Unternehmen, sich individuelle Ziele zu setzen, deren Erreichung dann überprüft werden soll („Flexi-Quote“). Doch die FDP lehnt bislang selbst eine solches Gesetz strikt ab.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kritisiert Deutschland regelmäßig wegen seiner Familienpolitik. Der Mangel an Kindertagesstätten hindere Mütter daran, in den Beruf zurückzukehren, kritisierte die Organisation im Februar. Nur für 18 Prozent der Kinder bis zwei Jahre steht ein Betreuungsplatz zur Verfügung. Der OECD-Schnitt liegt etwa doppelt so hoch. Das von der CSU durchgesetzte Betreuungsgeld - das ab 2013 Eltern erhalten, die ihre Kinder nicht in eine Kita schicken - bezeichnet die OECD als kontraproduktiv. „Die Regierung sollte das Geld stattdessen dafür ausgeben, qualitativ hochwertige Kinderbetreuungsplätze zu schaffen“, raten die Experten. Auch die Betreuungsmöglichkeiten für ältere Kinder und Schüler sei vergleichsweise schlecht.

Welche Erfahrung gibt es in deutschen Unternehmen mit der Quote?

Mindestens 30 Prozent des mittleren und oberen Managements sollen bis Ende 2015 Frauen sein, beschloss die Deutsche Telekom im März 2010. Ihre bisherige Bilanz: „Es ist wie erwartet anstrengend, unser Ziel durchzusetzen“, sagt Sprecherin Anne Wenders. Es sei nicht möglich, innerhalb von zwei Jahren eine komplette Unternehmenskultur zu ändern. „Wir haben bislang vor allem Basisarbeit gemacht“, sagt Wenders. Dazu zählt zum Beispiel ein „Gender-Sensibilisierungs-Training“, dass Manager und auch Headhunter durchlaufen. „Die finden das erstmal merkwürdig und denken, sie wüssten das schon alles. Aber wenn sie merken, was da für subtile Mechanismen am Werk sind, gibt es immer einen großen Aha-Effekt.“ Dieselben Headhunter, die vor Jahren noch behauptet haben, es gebe nicht genug qualifizierte Frauen für Top-Positionen, fänden jetzt auf einmal viel mehr. „Die mussten erst ihren Blick verändern“, erklärt Wenders. In Deutschland habe sich der Frauenanteil der Telekom zwar noch nicht erhöht, weltweit sei er allerdings von 19 Prozent auf 23 Prozent gestiegen. Im internationalen 65-köpfigen Topmanager-Team sind es statt zwei mittlerweile acht Frauen. (mit Reuters)

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