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Politik: Freie Fahndung

Von Peter von Becker

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble lässt nicht locker. Wie sein bayerischer Kollege Günther Beckstein hätte er vor einem Jahr schon zum Schutz der Fußball-WM gerne die Bundeswehr eingesetzt. Weil größere Terroranschläge in der Bundesrepublik jederzeit möglich seien. Nun ist die WM glücklich vorübergegangen. Aber die Bedrohung bleibt, für Schäuble allemal. Deshalb hantiert der oberste Sicherheitsminister jetzt mit Gesetzesplänen, die den Staat und seine Bürger vor allem präventiv stärker schützen sollen. Schützen durch Beschatten, Observieren und auch mal Ausspionieren.

Die Nutzung von Mautdaten gilt dabei als relativ unumstrittene Kollekte. Toller sieht’s aus, wenn künftig alle Bürger mit ihren Fingerabdrücken und biometrischen Merkmalen erfasst würden. Da fehlt nur noch die generelle DNA-Probe. Aber auch so würde jeder bereits als Verdächtiger behandelt und das ganze Staatsvolk zum Sicherheitsrisiko erklärt werden. Das aber verstieße nicht nur gegen den Menschenwürdesatz und Persönlichkeitsrechte – es verkehrte auch die Demokratie ins Absurde. Der Souverän wäre: (s)ein potenzieller Staatsfeind.

Noch heikler in ihren praktischen Auswirkungen muten die bislang bekannt gewordenen Pläne an für eine Verstärkung der Rasterfahndung und des elektronischen Abhörens von Wohnungen – Stichwort: Großer Lauschangriff – sowie für die Online-Durchsuchung von Computern mittels verdeckter Mitleser, sogenannter „Trojaner“. Beim Trojaner-Einsatz beispielsweise finden Schäuble und andere Unionspolitiker Unterstützung auch bei einigen Sicherheitsexperten der SPD und der Polizei. Weil das Internet immer mehr kriminell genutzt wird, ob beim Runterladen von Bombenbauplänen oder bei der Gewaltpornografie, müssten sich Ermittler hier den technologischen Gegebenheiten anpassen. Dieses Argument wirkt erst mal einleuchtend.

Dennoch muss der Gesetzgeber dabei die hohen Hürden der Verfassung und der neueren Rechtsprechung berücksichtigen. Erst kürzlich hat der Bundesgerichtshof die heimliche Durchsuchung von Computern ohne entsprechende Gesetzesgrundlage für rechtswidrig erklärt. Ein Gesetz aber wäre an die Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts bei Entscheidungen zum Großen Lauschangriff aus dem Jahr 2004 und zur Rasterfahndung von 2006 gebunden. Eine Rasterfahndung – das heißt etwa die Durchleuchtung generell verdächtigter Personengruppen („alle Muslime unter 40“) – wäre demnach nur bei einer konkreten Gefährdung höchster Rechtsgüter und nicht zur allgemeinen Gefahrenabwehr zulässig. Auch findet das Abhören von Wohnungen im „Kernbereich“ des Privaten seine Grenze, das gelte sogar für konkret Beschuldigte.

Mag sein, das Bundesverfassungsgericht verhält sich im letzteren Fall mitunter mehr idealistisch als realistisch. Wesentlich müsste bei neuen Sicherheitsgesetzen jedoch die Geltung des zwischen Bürgerfreiheit und Bürgerschutz abwägenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sein. Der schieren Prävention darf keine rechtsstaatliche Substanz geopfert werden, gravierende Eingriffe ohne richterliche Kontrollen gäben uns nur die Sicherheit, die sonst totalitäre Diktaturen verheißen. Totale Sicherheit aber ist in einer Gesellschaft mit offenen Grenzen ohnehin nicht möglich. Für diese Einsicht bedarf es jetzt keiner neuen irakischen Erpresservideos. Wir sind, trotz aller Verwundbarkeit, nicht im Krieg – und wohlbedacht reicht die rechtsstaatliche Vorsicht.

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