zum Hauptinhalt

Politik: Freiheit oder Sicherheit

TERROR IN EUROPA

Von Moritz Schuller

Der Terror hat schon Madrid erreicht und wir denken: Uns trifft es nicht. Wir denken das, denn anders kann man nicht leben. Sonst müssten wir in jedem Rucksack eine Nagelbombe vermuten, jeder Abschied am Morgen könnte dann einer für immer sein. Und wir belügen uns dabei nicht einmal selbst: Die Wahrscheinlichkeit, dass es einen von uns trifft, ist in der Tat gering. Doch dass es Deutschland trifft, dass Terroristen irgendwann auch in diesem Land eine Bombe zünden, dass es Madrider Bilder vielleicht auch einmal aus München, aus Berlin gibt, ist mit den Anschlägen wahrscheinlicher geworden.

Alles kann passieren, aber auch nichts. Das ist die Spannung, in der sich das Leben und die Politik in den USA schon seit dem 11. September befinden. Jetzt wird deutlich, dass diese Spannung auf Dauer auch das Leben in Europa und Deutschland bestimmen wird. Eine Spannung zwischen Angst und Gelassenheit, zwischen Freiheit und Überwachung, zwischen Recht und Risiko. Sie auszuhalten, mit „heroischer Gelassenheit“ womöglich, wie es der Politologe Herfried Münkler rät, kostet Kraft und Mut. Doch das ist die wahre Herausforderung des Terrors an die westlichen Demokratien.

Der islamistische Terror ist kein politischer Dialog, auf den man durch einen Rückzug aus dem Irak angemessen reagiert, oder durch eine Rücknahme des angeblich so provozierenden Kopftuchverbots. Der Krieg gegen den Terror habe mit dem Irak nichts zu tun, lauteten die Warnungen vor dem Einmarsch der Amerikaner im Irak. Heute stimmt noch immer die Umkehrung: Der Irak hat mit dem Krieg gegen den Terror nichts zu tun, selbst eine verlässliche Stabilisierung dort wird ihn nicht stoppen. Die Terroristen machen keinen Unterschied, wer am Krieg teilnahm und wer nicht: Das machen die Anschläge auf deutsche Touristen in Djerba und auf Türken im Herzen von Istanbul deutlich. Wie auch immer man politisch auf den Terror reagiert, wer Schutzgelder zu zahlen beginnt, zerstört sein eigenes politisches System. So würden die westlichen Demokratien zu jenem zahnlosen Tiger, für den ihn die islamistischen Ideologen schon lange halten.

Die Spannung auszuhalten, das bedeutet in einer Demokratie aber auch, dass die Regierung nicht die Bevölkerung in die Irre führt, weil sie davon zu profitieren meint, dass sie nicht verbreitet, der Anschlag sei auf die Eta zurückzuführen, wenn sie es längst besser weiß. Der spanische Premier hat dafür einen hohen Preis bezahlt. Zu Recht. Auch in Zeiten des Terrors muss man Mut zu politisch unvorteilhaften Wahrheiten haben. Wer das nicht tut, untergräbt auch so das eigene System.

Der Terror ist eine Bedrohung, vor der wir geschützt werden müssen. Die Amerikaner haben sich nach den New Yorker Anschlägen selbst ein Kontroll-Korsett verpasst, in dem ihrer Demokratie die Luft knapp wird. Ein Lager wie Guantanamo beendet das Risiko, dass die dort Inhaftierten Terroranschläge verüben – aber es ist auch das Ende des Rechts. In Europa wurde ein Marokkaner von den Sicherheitsdiensten dreier Länder ins Visier genommen, aber nicht aus dem Verkehr gezogen. Drei Jahre später organisierte er, offensichtlich unbehelligt, in Madrid die Bombenanschläge.

Wenn wir versuchen, alles für unseren Schutz zu tun, dann werden wir zwangsläufig unsere eigenen Rechte einschränken und uns leichter kontrollieren lassen müssen. Wenn wir zu wenig für unseren Schutz tun, dann steigt das Risiko. Eine absolute Sicherheit wird es nie geben, und jeden Tag kann es zu einem Anschlag kommen. Das ist die Spannung, mit der wir auch in Deutschland gelassen leben müssen.

-

Zur Startseite