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Politik: Freiheit und Sozialismus

Bisky wirbt auf dem Programmparteitag für eine etwas andere PDS – mit erkennbarem Nutzen für die Wähler

Von Matthias Meisner

Knapp eine Stunde liegt zwischen den Reden, doch inhaltlich tun sich Welten auf. Seinen Freund Gregor Gysi hatte PDS-Chef Lothar Bisky verpflichtet, die Chemnitzer Bürgerschaft am Samstagmorgen um neun bei eisiger Kälte auf den Parteitag einzustimmen. Bei einer Kundgebung am Neumarkt wirbt Gysi für ein neues Programm, das die kriselnde Partei wieder „näher an die Probleme der Menschen“ bringen soll. Einige hundert Neugierige sind gekommen, viele Delegierte darunter. „Es bringt nichts, frustriert zu sein“, ruft der ehemalige Vorsitzende aus – der Appell ist auch an die eigenen Genossen gerichtet. Die sollten sich endlich dem „Hier und Heute“ zuwenden, politische Alternativen diskutieren und auf ideologisches Geschwätz verzichten. Das nämlich, fügt Gysi hinzu, gehe ihm schon länger „ziemlich auf die Nerven“.

In der Stadthalle eröffnet der Ehrenvorsitzende Hans Modrow den Parteitag. Ihm geht es vor allem darum, dass die PDS sich nicht als „gemäßigte linke europäische Partei“ einordnen dürfe, an der die „Schärfe der sozialen Kämpfe“ sowie das „Streben nach gesellschaftlichen Veränderungen“ vorbeigingen. Modrow warnt vor einem verschwommenen Profil. Und auch davor, dass innerparteiliche Minderheiten verdrängt werden. Letztlich macht Modrow so klar, dass er auch mit dem alten Programm ganz gut leben könnte.

Was übrig bleibt vom Entwurf des neuen Grundsatzprogramms, der nach fünfjähriger Debatte entstanden ist, wird erst heute feststehen. Über 500 Änderungsanträge liegen vor, die meisten mit dem Ziel, bloß nicht zu viele Reformschritte zu gehen. Doch bei der Verabschiedung der Präambel handelten sich die Kritiker Niederlagen in Serie ein.

Uwe-Jens Heuer, Vertreter des Marxistischen Forums, fordert, aus dem Sozialismus dürfe nicht eine unverbindliche Vision werden, stattdessen sollte eine „notwendige und mögliche andere Gesellschaftsordnung“ Ziel bleiben. Dazu gehöre es, den „gescheiterten Sozialismusversuch“ – gemeint ist die DDR – „nicht verächtlich zu behandeln“.

Bisky selbst gibt seiner Partei nicht mehr viel Zeit, will sie überhaupt noch eine Chance haben und sich endlich dem Widerstand gegen Sozialabbau zuwenden. „Freiheit und Sozialismus“ müssten zusammenkommen, sagt der Parteichef. Immer wieder geht der Vorsitzende auf die Kritiker des linken Flügels zu, etwa mit seinem Seitenhieb auf die rot-roten Landesregierungen, in denen die PDS „trotz aller Mühen um soziale Problemlösungen“ allzu leicht als „Partei wie alle anderen eben auch wahrgenommen“ werde, „ohne erkennbaren besonderen Nutzen für Wählerinnen und Wähler“. Auch in der innerparteilich heiß diskutierten Frage, ob die PDS im Einzelfall auch UN-Militäreinsätze billigen sollte – ein Parteitag 2000 in Münster hatte das abgelehnt –, betont Bisky: „Wie und wann und wer aus der PDS hat einer Kriegspolitik die Hand gereicht? Das gibt es nicht.“ Nein, keine Revision von Münster.

„Im Kern“ will Bisky auf dem Entwurf bestehen, versichert er. Rücktrittsdrohungen hat er vermieden. Er werde doch nicht Schröder imitieren, sagt er in Anspielung auf Rücktrittsdrohungen des Kanzlers. Biskys Vorgängerin Gabi Zimmer, Chefin der Programmkommission, betont indes am Rande, „spurlos“ würde eine solche Abstimmungsniederlage am Vorsitzenden nicht vorübergehen. Doch auch Zimmer nimmt den Delegierten die Befürchtung, der PDS-Programmentwurf sei zu wenig marxistisch. Karl Marx, meint sie launisch, hätte auf Kritik an der Vorlage gewiss dialektisch reagiert: „Oh verdammt! So schnell bin ich gestorben?“

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