zum Hauptinhalt

Politik: Freispruch aus Überfluss an Beweisen?

Der Kölner Müllprozess droht zu platzen: Der Richter rügt, ihm seien stoßweise Akten vorenthalten worden – die jetzt alle da sind

Die Wut des Vorsitzenden Richters Martin Baur war am Dienstag nach 30 Verhandlungstagen deutlich zu spüren, denn nun steht der Kölner Müllprozess kurz davor zu platzen: „Ehe ich mich in Rage rede“, beschwichtigte der Vorsitzende der 14. Großen Strafkammer des Kölner Landgerichts sich selbst und berichtete dann: Am Montag hatte die Kölner Kriminalpolizei auf seine Veranlassung hin alle noch dort lagernden Unterlagen zum Kölner Müllprozess geliefert, insgesamt 30 Kartons voller Akten, „so dass wir ein drittes Aktenzimmer einrichten mussten“, sagte Baur.

Von der Staatsanwaltschaft kam zeitgleich ein weiterer Wagen mit Aktenordnern. Anlass für die Nachlieferung war ein Schriftstück, das in der vergangenen Woche bekannt geworden und nicht zu den Prozessakten gereicht worden war. Der Verdacht tauchte auf, dass noch mehr unterschlagen worden sein könnte.

Aus dem Schriftstück geht hervor, dass der angeklagte Ex-Chef des Müllofenbetreibers AVG, Ulrich Eisermann, möglicherweise Kontakt zu einer Firma hatte, über die Schmiergelder verteilt worden sein sollen. Eisermann hatte den Kontakt zu diesem Schweizer Geldwaschunternehmen bestritten. Das Dokument, das diese Behauptung infrage stellt, hätte – so der Richter – eindeutig zu den Prozessakten gehört. Stattdessen sei es „nicht aus Versehen, nicht aus Nachlässigkeit, sondern ganz bewusst nicht zu den Akten genommen“ worden.

Ein ungeheuerlicher Vorwurf gegen die Ankläger. „Jetzt haben wir natürlich ein kleines Problem“, meinte Baur angesichts der Menge von Unterlagen. Immerhin stützt sich die Anklage gegen den einstigen Kölner SPD-Vorsitzenden Norbert Rüther ausschließlich auf Eisermanns Beschuldigungen. Und auch der Mitangeklagte Sigfrid Michelfelder sitzt vorwiegend aufgrund Eisermanns Aussagen vor Gericht. So soll Rüther aus dem elf Millionen Euro umfassenden Schmiergeldtopf beim Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage eine Million kassiert haben, was er aber bestreitet. Michelfelder soll 1,2 Millionen bekommen haben. Beide müssen sich wegen des Vorwurfs der Bestechung beziehungsweise der Bestechlichkeit verantworten.

„Wie soll es überhaupt weitergehen?“, fragte der Vorsitzende Richter am Dienstag, ratlos. „Wie ist das für ein Gericht noch möglich, die Glaubwürdigkeit von Eisermann zu prüfen“, wenn Ankläger dem Gericht prozessrelevante Unterlagen vorenthalten? Selbstverständlich müsse nun einem Aussetzungsantrag der Verteidiger stattgegeben werden, um die Akten zu sichten. Weil es dafür Fristen gibt, ist unklar, ob das Verfahren überhaupt fortgesetzt werden kann.

An diesem Mittwoch will das Gericht beraten, Baur schloss nicht aus, dass der Kölner Müllkorruptionsprozess am Donnerstag ein abruptes Ende finden könnte. Noch Mitte Dezember hatte Richter Baur wissen lassen, wie sehr er Eisermann glaube. Allein schon wegen dessen „ungefilterter Art, wie er die Dinge erzählt“. Nun muss sich das Gericht entscheiden, ob sie den Erzählungen dieses Kronzeugen weiterhin folgt – und ob überhaupt ein Prozess fortgeführt werden kann, bei dem stoßweise Akten fehlten.

Ingrid Müller-Münch[Köln]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false