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Politik: Freispruch zweiter Klasse für Belgrad

Internationaler Gerichtshof urteilt: Serbien ist für Massaker von Srebrenica nicht direkt verantwortlich

„Serbien ist schuldig“, prangte auf Plakaten der vor dem Friedenspalast in Den Haag ausharrenden Angehörigen der Opfer von Srebrenica. Doch der Argumentation von Bosnien-Herzegowina, dass Serbien sich als Staat während des Bosnien-Kriegs von 1992 bis 1995 in der bosnisch-muslimischen Enklave des Völkermords schuldig gemacht habe, wollten die 15 Richter des Internationalen Gerichtshofs (IGH) am Ende des über 13 Jahre währenden Mammut-Prozesses nicht folgen. Zwar bekräftigte Präsidentin Rosalyn Higgins in der dreistündigen Urteilsverlesung, dass bosnische Serben an den Muslimen der Enklave Srebrenica 1995 einen Genozid begangen haben, dem fast 8000 Menschen zum Opfer fielen. Doch von der direkten Verantwortung für das Massaker sprach das Gericht die damalige Regierung Serbiens frei: Die Schadensersatzforderungen Sarajevos an Belgrad seien daher ohne Grundlage.

Allerdings konstatierte der IGH eine Mitverantwortung Belgrads für das Massaker. So habe Serbien seine Pflicht nicht erfüllt, den Völkermord zu verhindern: Die Belgrader Regierung, die die bosnischen Serben stark unterstützte, hätte die Gefahr eines Genozids erkennen müssen. Zudem habe Belgrad bis heute den Hauptverantwortlichen des Völkermords, General Ratko Mladic, weder festgenommen noch ausgeliefert. Ausdrücklich wurde Belgrad zur „vollen Zusammenarbeit“ mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal gemahnt: Serbien müsse seinen Verpflichtungen „augenblicklich“ nachkommen.

Noch vor Srebrenica hatte die Regierung in Sarajevo im Bosnien-Krieg 1993 die Völkermord-Klage gegen Serbien in Den Haag eingereicht. Die Bosniaken wollten damals auf ihre prekäre Lage und die an ihnen begangenen Kriegsverbrechen aufmerksam machen, die Aufhebung des Waffen-Embargos erzwingen – und den Westen zu einer Militär-Intervention ermutigen. Nach dem Krieg, dem mehr als 250 000 Menschen zum Opfer fielen, hielt Bosnien-Herzegowina den Völkermord-Vorwurf gegen Serbien aufrecht. Belgrad argumentierte, dass in Bosnien ein Bürgerkrieg geherrscht habe, bei dem alle Beteiligten Kriegsverbrechen begangen hätten: Serbien sei für die von paramilitärischen und bosnisch-serbischen Truppen begangenen Massaker nicht verantwortlich zu machen.

Mit seinem Urteil folgt der IGH, der sich ausschließlich mit Konflikten zwischen Staaten beschäftigt, eher der Argumentation Belgrads als der Sarajevos. Während Serbiens Präsident Boris Tadic das Parlament aufforderte, eine Resolution zur Verurteilung des Massakers zu verabschieden, hat das Urteil in Bosnien Enttäuschung und Angst vor neuen Konflikten ausgelöst. „Europa hat gezeigt, dass es gegen Muslime ist“, sagte Muinra Subasic, die Vorsitzende des Verbands der Srebrenica-Opfer. Er werde das Urteil respektieren, sei aber „sehr enttäuscht“, bekannte Zeljko Komsic, das kroatische Mitglied des bosnischen Staatspräsidiums. Ex-Premier Haris Silajdzic warnte vor „neuen Spannungen“. Der serbische Vorsitzende im Staatspräsidium, Nejbosa Radmanovic, rief Muslime, Kroaten und Serben dazu auf, „Ruhe zu bewahren“. Die Chefanklägerin des Jugoslawien-Tribunals, Carla Del Ponte, begrüßte das Urteil. Sie sei „sehr zufrieden“ damit, sagte ihre Sprecherin Olga Kavran.

Thomas Roser[Sarajevo]

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