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Politik: Freistätte des Geistes

Von Bernhard Schulz

Einst wurde das Bauwerk als „cul de Berlin“ bespöttelt, als „Hintern“ der Stadt, weil es, abgetrennt durch die lärmende Stadtbahn, auf der äußersten Spitze der Museumsinsel gelegen und nur über die eigens errichtete Monbijou-Brücke zu erreichen war. Die Gegend ist, betrachtet man die Ufer der hier wieder zusammenfließenden beiden Spree-Arme, auch heute noch nicht von feinstem Flair. Mittendrin aber durchpflügt wie ein stolzer Ozeandampfer das frisch polierte Bode-Museum die Gewässer, baulich saniert seit dem vergangenen Spätherbst und nun wieder bestückt mit zahllosen Meisterwerken der Kunst.

Die ganze Insel hinter dem 1830 eröffneten Alten Museum „zu einer Freistätte für Kunst und Wissenschaft umzuschaffen“, ordnete König Friedrich Wilhelm IV. schon 1841 an. Seine Idee wurde binnen neunzig Jahren Wirklichkeit. Die Bomben des Zweiten Weltkriegs konnten furchtbarerweise viel, ja beinahe alles an baulicher Substanz vernichten. Die Idee indessen blieb lebendig. Mit der festlichen Wiedereröffnung des Bode-Museums am kommenden Dienstag kehrt nach der Alten Nationalgalerie nun schon das zweite Museum der Insel vorzüglich restauriert in die Gegenwart zurück, während nahebei der Wiederaufbau des zerstörten Neuen Museums am Kupfergraben sichtbare Fortschritte macht.

Eine „Freistätte für Kunst und Wissenschaft“ – welches Vermächtnis des Anfang des 19. Jahrhunderts gründlich reformierten Preußen könnte zeitgemäßer, ja zukunftsweisender sein als diese königliche Order! Zeitgemäß, wohlgemerkt, für Berlin wie für Deutschland gleichermaßen. Was sich im Bode-Museum als der alten, neuen Heimstatt insbesondere der so lange unbehausten Skulpturengalerie präsentiert, ist – wie die Staatlichen Museen insgesamt – nicht Berliner Eigentum, sondern in der deutschen Hauptstadt treuhänderisch verwahrter Gemeinbesitz der Bundesrepublik, die darum auch mit Fug und Recht für das preußische Erbe einsteht. Der Bund, auf den das kulturelle Vermächtnis Preußens durch die Zeitläufte übergegangen ist, finanziert die Bauten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz allein, die Länder, die das föderale Gegengewicht betonen, beteiligen sich zumindest an den Betriebskosten der Stiftung.

Der Föderalismusstreit der zurückliegenden Jahre hat bisweilen überschattet, welches Erfolgsmodell die Konstruktion der Preußenstiftung darstellt; ungeachtet mancher Schwerfälligkeiten, die man sich seit jeher beseitigt wünschte. Mit dem Schatzhaus des Bode-Museums tritt dieses Erfolgsmodell einmal mehr vor Augen. Aber der Stolz auf das jetzt (Wieder-)Erreichte findet nur dann seine historische Berechtigung, wenn er verstanden wird als Triebfeder zu weiteren Anstrengungen. Die vollständige Sanierung der Museumsinsel, so viele Jahre sie noch dauern und so viele Mittel sie noch beanspruchen wird, ist nur der eine, aus dem Gebot des Erbes selbstverständliche Teil. Der andere ist die kühne Fortentwicklung dessen, was 1841 als „Freistätte für Kunst und Wissenschaft“ schon einmal zum visionären Programm und geistigen Leitbild erhoben wurde.

Kultur und Wissenschaft – wie oft wird es beschworen! – sind die Pfunde, mit denen Berlin wuchern kann. Mehr noch: Sie bilden das Kapital, das das zunehmend postindustrielle Deutschland einsetzen muss, will unser Land in einer dramatisch sich wandelnden Welt bestehen. Eine Idee, die jener der Museumsinsel ebenbürtig wäre, ist die des global vernetzten Humboldt-Forums auf dem Schlossplatz. Nur im Dialog, der sich aus dem kulturellen Erbe der ganzen Welt speist und im Brennglas heutiger Fragestellungen bündelt, liegt die Chance für eine beherrschbare Zukunft. Das Bode- Museum, mag es auf den ersten Blick eher nur als glanzvoll aufpolierte Schatzkammer der Vergangenheit erscheinen, hat an solchem Dialog seinen spezifischen Anteil. Kunst und Wissenschaft bedürfen der geistigen Freistätte. Berlin kann sie bieten – und muss es mit aller Entschiedenheit tun, um der eigenen wie der gemeinsamen Zukunft willen.

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