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Politik: Freitod als letzter Ausweg

Athen - Ein Bruder fand den Toten. Der 50-jährige Grieche hatte sich in der Scheune seines Landhauses aufgehängt, an der Straße zwischen den Ortschaften Anogia und Nida auf der Insel Kreta.

Athen - Ein Bruder fand den Toten. Der 50-jährige Grieche hatte sich in der Scheune seines Landhauses aufgehängt, an der Straße zwischen den Ortschaften Anogia und Nida auf der Insel Kreta. Einen Abschiedsbrief hinterließ er nicht. Aber im Dorf Anogia heißt es, der Mann, Besitzer eines kleinen Handwerksbetriebes, sei in großen finanziellen Schwierigkeiten gewesen. Er hinterlässt eine Ehefrau und einen 22-jährigen Sohn.

Es ist nur ein Fall von vielen. Die Schuldenkrise und die tiefe Rezession treiben immer mehr Griechen in den Freitod. Seit Beginn der Krise sei die Zahl der Selbsttötungen deutlich angestiegen, wahrscheinlich um rund 40 Prozent, erklärte jetzt der griechische Gesundheitsminister Andreas Loverdos in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage.

Dabei sind die Griechen traditionell eines der Völker mit der niedrigsten Selbstmordrate. Sie genießen offenbar das Leben. Nach einer Statistik der Weltgesundheitsorganisation WHO nehmen sich in Griechenland pro Jahr durchschnittlich 3,5 von 100 000 Einwohnern das Leben. Zum Vergleich: in Deutschland ist die Rate mit 11,9 mehr als dreimal so hoch. Doch jetzt lässt die Krise immer mehr Griechen verzweifeln. Die Arbeitslosenquote nähert sich den Rekordwerten der 1960er Jahre. Damals verließen Hunderttausende Griechen ihre Heimat und gingen als Gastarbeiter nach Deutschland.

„Wenn ein Familienvater plötzlich seine Frau und seine Kinder nicht mehr ernähren kann, wenn er die Miete für die Wohnung oder die Rate für den Hypothekenkredit nicht mehr zahlen kann, bedeutet das eine enorme psychische Belastung“, sagt der Athener Psychiater Antonis Pavlopoulos. Verzweifelte Menschen, die Selbstmordgedanken haben und Hilfe suchen, können in Griechenland die Nummer 1018 wählen. Die Nichtregierungsorganisation Klimaka (Strickleiter) versucht zu helfen. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres habe man etwa 2500 Anrufe von hilfesuchenden Suizidkandidaten oder deren Angehörigen erhalten, sagt der wissenschaftliche Leiter der Organisation, Kyriakos Katsadoros – so viele wie im gesamten Vorjahr. Gerd Höhler

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