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Flüchtlinge während einer Gedenkfeier für die Toten von Lampedusa. Foto: Reuters

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Politik: Fremdenhass gegen die Schwächsten

Sie haben sich vor dem brutalen Bürgerkrieg nach Ägypten gerettet Doch seit Mursis Sturz werden Syrer dort angefeindet – und fliehen erneut.

Kairo - Najah Kourdi kann es immer noch nicht fassen. Ihre Flüchtlingsgruppe hatte gerade mit dem klapprigen Boot nahe Alexandria abgelegt und war die ersten Seemeilen unterwegs Richtung offenes Meer, als ein ägyptisches Polizeiboot sie entdeckte und beschoss. Ihr Mann starb im Kugelhagel, die Barkasse kenterte und sank. Die Hochschwangere und ihre kleine Tochter wurden aus dem Wasser gezogen und gerettet. Wie die meisten an Bord stammt die junge Familie aus Syrien und wollte nur eins – weg aus Ägypten. 9300 Dollar zahlten die drei an ägyptische Schlepper, die den Verzweifelten das Blaue vom Himmel versprachen. Die windigen Schicksalsspieler hätten ihnen Asyl in Schweden vorgegaukelt, berichtete Najah Kourdi gegenüber der BBC. „Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich das Boot mit meiner kleinen Tochter niemals betreten.“

Menschenschmuggel nach Italien ist inzwischen auch in Ägypten ein schnell wachsendes Geschäft. Denn seit dem Sturz von Mohammed Mursi am 3. Juli wird das Land von einer beispiellosen Welle von Fremdenhass überschwemmt, die vor allem die Schwächsten trifft. Auf der Straße werden die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge angepöbelt, auf Ämtern verweigert man ihnen die Aufenthaltsgenehmigung und drückt ihnen stattdessen einen Abschiebestempel in den Pass. Bei Kontrollen beschimpfen Polizisten und Soldaten die Syrer regelmäßig als Terroristen oder fünfte Kolonne der Muslimbrüder. Ihre kleinen Läden, die sie zum Lebensunterhalt gegründet haben, werden von der einheimischen Bevölkerung mittlerweile systematisch boykottiert.

Kein Wunder, dass seit drei Monaten die Zahl der syrischen Bootsflüchtlinge dramatisch steigt, die von Ägyptens Küste aus versuchen, in klapprigen Motorkähnen die 1600 Kilometer lange Überfahrt nach Italien zu überleben. Ein anderer Teil schlägt sich mithilfe von Schlepperbanden illegal über die Grenze nach Libyen durch, weil die Seewege von hier nach Europa kürzer sind.

Nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks erreichten in den ersten neun Monaten des Jahres bereits 35 000 Flüchtlinge per Boot italienischen Boden, drei Mal mehr als im gesamten Jahr 2012. Mit jeweils rund 10 000 Menschen stellen Syrer und Eritreer die größten Gruppen, gefolgt von Somalia mit 4000 Hilfesuchenden. „Wir sind entschlossen, uns dieses Problems anzunehmen“, versprach Libyens Premier Ali Zeidan dem nach Tripolis geeilten Regierungschef von Malta, Joseph Muscat. Vor dessen Küste ertranken vergangene Woche zwischen 50 und 200 Menschen, viele von ihnen Syrer, als ihr Boot in stürmischer See kenterte. 200 überlebten. Die Flüchtlinge hatten die Überfahrt vom libyschen Hafen Zwara aus angetreten.

Die meisten der 364 Opfer der Schiffstragödie vor Lampedusa Anfang Oktober stammten aus Eritrea, dem Armenhaus am Horn von Afrika. Seit der Unabhängigkeit von Äthiopien 1993 wird ihre Heimat regiert von Isaias Afewerki, Staatschef, Oberkommandierender der Armee und Chef der Einheitspartei in Personalunion. Unter seinem diktatorischem Regime müssen alle Männer bis zum 50. Lebensjahr Arbeits- und Armeedienst absolvieren, zu Hungerlöhnen und schikaniert von sadistischen und brutalen Offizieren. Selbst Männer bis 65 werden noch Jahr für Jahr zur sogenannten Volksarmee eingezogen. Viele Bewohner empfinden ihr Land als Riesengefängnis; Eritrea gilt als das Nordkorea Afrikas.

Wer kann, flieht – dabei landen Abertausende auch in den Fängen von Beduinen auf dem Sinai, wo sie bestialisch gequält werden, um von Verwandten Lösegelder zu erpressen. Einer der Überlebenden von Lampedusa, ein 27-Jähriger, sagte seinen Rettern, er sei geflohen, weil er nach acht Jahren Militärdienst keine Hoffnung mehr sah, irgendwann entlassen zu werden. Martin Gehlen

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