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Politik: Freunde fürs Leben

Von Gerd Appenzeller

Die Szene heute wird nicht frei sein von Pathos – und von Heuchelei. Staatsmänner aus vielen Nationen gedenken der alliierten Landung in der Normandie vor 60 Jahren. Es war der Tag, der diesem Kontinent die Freiheit zurückbrachte. Ohne die USA hätten die späteren Siegermächte nicht die Kraft gefunden, NaziDeutschland niederzuringen. Das ist die Vergangenheit. Die Gegenwart: In der internationalen Politik wird heute kein Politiker eines demokratischen Staates so wenig geschätzt wie George W. Bush, der Präsident jenes Amerika. Das Band des gemeinsamen Triumphes, der heute noch einmal beschworen werden soll, ist nicht so stark, das Auseinanderdriften der Weltkriegskoalition von damals verhindern zu können.

Dass die Alliierten alle zehn Jahre des D-Day gedenken, hängt ja mit dessen Sinn stiftender Bedeutung zusammen. Die Welt muss im Kampf gegen Unfreiheit und Diktatur zusammenstehen, lautet die Botschaft, die auch jetzt wieder beschworen wird. Eine gute, eine richtige Botschaft. Zum ersten Mal wird sie auch ein deutscher Bundeskanzler an dieser Stelle hören. Gerhard Schröder empfindet das zu Recht als bewegende Geste des französischen Präsidenten, der die Einladung ausgesprochen hat, und sieht damit das Ende der Nachkriegszeit gekommen. Wie wahr. Wie falsch.

Wahr, weil die Einladung Jacques Chiracs in sich wieder einen Konflikt mit Amerika bergen kann. Denn dem Staatspräsidenten geht es ja auch darum, das Herausgehobene der deutsch-französischen Entente gegenüber der traditionellen deutschen Partnerschaft mit den USA zu betonen. Es ist eine Einladung, die gleichermaßen versöhnen und spalten kann, denn sie entsprang auch der Zeit, in der sich Washington auf der einen und Berlin und Paris auf der anderen Seite wegen des Irak zerstritten. Schröder ist klug genug, dies erkannt zu haben. Wahr ist auch, dass Deutschland durch die Art, wie es die Wiedervereinigung bewältigte, endgültig seinen Platz unter den europäischen Demokratien gefunden hat. Falsch aber liegt der Kanzler, weil diese Einladung an den Strand der Normandie auch schon an Helmut Kohl ergangen wäre – hätte er gewollt. Und falsch ist die These vom Abschluss der Nachkriegszeit mit dem heutigen Tag auch, weil historische Perioden wie Krieg oder Frieden nicht abrupt enden oder beginnen, sondern vor- und nachgelagerte Phasen haben.

Richtig ist, dass Europa heute Amerika nicht mehr zu brauchen meint. Es tut sich in der Abwendung vom einstigen Partner so leicht, weil der glaubt, die Geschicke ganzer Weltregionen alleine bestimmen zu können. Ja, Amerika kann jeden Krieg gewinnen. Dass es danach aber auch verlieren kann, erlebt es gerade. Um militärische Siege in demokratische Stabilität münden zu lassen, braucht man Freunde, Partner im Geist, keine Koalition der Willigen. Ein furchtbarer Begriff, leitet er sich doch ab von „jemandem zu Willen sein“. Amerika braucht wieder, wie 1944, ein Bündnis der Gleichgesinnten.

Europa könnte dabei helfen, wenn es nicht den moralisch Überlegenen herauszukehren suchte. Bush hat den Graben sicher vertieft. Es gäbe ihn aber wohl auch unter einem anderen Präsidenten, eben weil sich die Zeiten geändert haben. Wir sollten uns dennoch nicht einreden lassen, dass Dankbarkeit keine politische Kategorie ist. Ohne die USA und den D-Day hätte Europa heute vermutlich keine Wahl. Es wäre rot oder braun.

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