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Politik: Frieden steht nicht auf dem Stimmzettel

Der politische Übergangsprozess nähert sich dem Ende, doch der Aufstand geht weiter

Die zweite Parlamentswahl in diesem Jahr soll die politische Übergangsphase im Irak seit der britisch-amerikanischen Invasion im März 2003 beenden. Am Donnerstag sind 15,5 Millionen Iraker dazu aufgerufen, das erste Parlament mit einer vollen Amtszeit von vier Jahren zu wählen. Politische Beobachter erwarten, dass schiitische religiöse Parteien die Wahl gewinnen werden. Ob sie jedoch eine absolute Mehrheit erreichen, und wie hoch diesmal die Beteiligung der Sunniten sein wird, wird mit Spannung erwartet.

Doch der Abstimmung kommt noch eine andere Bedeutung zu. Da sie den vorläufigen Abschluss des von den USA orchestrierten politischen Prozesses bedeutet und in Amerika die Kritik an der Irakpolitik der Regierung wächst, verdichten sich Berichte, nach denen die US-Regierung nach der Wahl mit dem Truppenrückzug aus dem Irak beginnen wird. Allerdings ist der Irak auch fast zwei Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins nicht befriedet und die Tendenzen zum Zerfall in „Mini-Staaten“ entlang religiöser und ethnischer Linien haben sich eher verstärkt.

Angesichts der schiitischen Bevölkerungsmehrheit wird mit einem Sieg schiitischer Gruppen gerechnet. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Iraker strikt nach konfessionellen und ethnischen Kriterien wählen. Ob die Vereinigte Irakische Allianz, in der die meisten prominenten religiösen Gruppen antreten, wieder eine absolute Mehrheit erringen wird, ist offen. Der oberste schiitische Religionsführer Ali Sistani hat im Gegensatz zur letzten Wahl nicht ausdrücklich zur Wahl dieser Gruppe aufgerufen. Möglich wäre, dass der ehemalige Premierminister Ijad Allawi, der die säkulare schiitische Option darstellt und von prominenten Sunniten wie Adnan Pachachi und dem ehemaligen Präsidenten Ghasi al Jawar unterstützt wird, sein Wahlergebnis von 14 Prozent bei den vorhergehenden Wahlen verbessern kann.

Entscheidend wird die Wahlbeteiligung der Sunniten sein, die sich im neuen Irak marginalisiert fühlen und aus deren Reihen der bewaffnete nationalistische Widerstand erwächst. Die Minderheit von 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung hatte die Wahlen im Januar teilweise boykottiert. Trotz direkter Drohungen hatten viele Sunniten jedoch am Verfassungsreferendum teilgenommen – und geschlossen gegen die neue Verfassung gestimmt. Da einige Führer der Sunniten den Boykott nachträglich als Fehler eingestuft haben, wird damit gerechnet, dass nun mehr Sunniten zur Wahl gehen werden, bei der auch eine neue Vereinigung dreier sunnitischer Parteien antritt. Aber die Ermordung des sunnitischen Kandidaten Misher al Dulaimi am Dienstag hat gezeigt, dass militante Gruppen dies verhindern wollen. Und am Mittwoch kündigte der irakische Arm der Terrororganisation Al Qaida unter der Führung des Jordaniers Abu Mussab al Sarkawi eine groß angelegte Offensive gegen „Bastionen der Ungläubigen und Abtrünnigen“ an. Die Echtheit des auf einer islamistischen Internetseite veröffentlichten Textes konnte allerdings zunächst nicht festgestellt werden.

Ob sich mit größerer Beteiligung der Sunniten die Hoffnung erfüllt, dass Teile des Widerstands die Waffen niederlegen, bleibt jedenfalls fraglich. Die Debatte um den Verfassungsentwurf hat bei vielen Sunniten die Überzeugung gestärkt, dass die schiitische und kurdische Bevölkerungsmehrheit nicht an der Integration der Sunniten interessiert ist. Der Verfassungsentwurf war zur Abstimmung vorgelegt worden, obwohl sunnitische Vertreter deutlich machten, dass ihre Anhänger darin keine Grundlage für eine gemeinsame Zukunft sahen. Die gezielten Anschläge auf Schiiten einerseits und die jüngsten Enthüllungen über die Unterwanderung der Sicherheitskräfte durch schiitische Milizen, die eigene „Todesschwadronen“ unterhalten sollen, haben die Fronten weiter verhärtet.

Viele Iraker schauen bereits über die Parlamentswahl hinaus. Obwohl die meisten Sunniten die US-Truppenpräsenz ablehnen, fürchten führende Vertreter der Volksgruppe mittlerweile, dass ein Abzug der Amerikaner zu einem Rachefeldzug schiitisch dominierter Sicherheitskräfte führen wird. Dies hätte wohl die Unterstützung vieler Schiiten, die Opfer zahlreicher Terroranschläge wurden. Doch das Land würde weiter im bürgerkriegsähnlichen Chaos versinken.

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