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Nobuo Miyake (2.v.r), ein Überlebender des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, freut sich in Tokio zusammen mit Atomwaffengegnern über den Friedensnobelpreis für die Internationale Kampagne zur atomaren Abrüstung (ICAN).

© kyodo/dpa

Friedensnobelpreis an ICAN: Warum die Atomwaffengegner auch Deutschland kritisieren

Die internationale Bewegung ICAN wird mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Kurz darauf attackieren Vertreter massiv die Bundesregierung.

Der Friedensnobelpreis kann in diesem Jahr gleich in 100 Staaten der Welt gefeiert werden. Denn der Preis geht nicht an eine Einzelperson, sondern an die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), ein Bündnis aus mehr als 450 Nichtregierungsorganisationen. Die Organisation habe mit ihrer Arbeit „die Aufmerksamkeit auf die katastrophalen Folgen jeglichen Einsatzes von Atomwaffen“ gelenkt und erhalte die Auszeichnung für ihre „bahnbrechenden Bemühungen, ein vertragsbasiertes Verbot solcher Waffen zu erreichen“, heißt es in der Begründung des norwegischen Nobelkomitees.

Die ICAN setzt sich seit ihrer Gründung vor zehn Jahren für eine Welt ohne Atomwaffen ein. Im Juli konnte die Organisation ihren bisher größten Erfolg für sich verbuchen: Bei den Vereinten Nationen in New York verständigten sich 122 Staaten auf ein grundsätzliches Verbot von Nuklearwaffen. Demnach wäre nicht nur der Einsatz solcher Waffen untersagt, sondern bereits der Besitz. Die Atommächte hatten sich allerdings nicht an den Verhandlungen über den Vertrag beteiligt. Auch Deutschland gehört nicht zu den Unterstützern. Sobald der Vertrag von 50 Staaten ratifiziert worden ist, wird er für die beteiligten Staaten rechtlich bindend.

Nur zwei Stunden nach der Bekanntgabe des Nobelkomitees in Oslo nutzten Vertreter von ICAN Deutschland die Auszeichnung für massive Kritik an der Bundesregierung. Deutschland habe die Verhandlungen in New York „boykottiert“, sagte Sascha Hach, Vorstandsmitglied der deutschen ICAN-Sektion. Es sei das erste Mal, dass die Bundesregierung die Beteiligung an internationalen Abrüstungsverhandlungen verweigert habe. Auf diese Weise werde die Bundesregierung ihrer globalen Verantwortung nicht gerecht. Die neuen Friedensnobelpreisträger forderten Deutschland auf, dem UN-Vertrag zum Verbot von Nuklearwaffen beizutreten.

„Die Bundesregierung unterstützt das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen“, sagte eine Regierungssprecherin am Freitag – und erklärte zugleich, warum sich Deutschland dem Vertrag nicht angeschlossen hatte: Einige Staaten betrachteten nukleare Waffen nach wie vor als ein Mittel der militärischen Auseinandersetzung. Solange dies der Fall sei und Deutschland und Europa davon bedroht seien, bestehe die Notwendigkeit einer atomaren Abschreckung durch die Nato fort, sagte die Sprecherin.

Noch 20 US-Atomwaffen in Deutschland

Deutschland besitzt zwar selbst keine Atomwaffen, doch auf einem Stützpunkt in Büchel (Rheinland-Pfalz) sind nach wie vor amerikanische Nuklearwaffen stationiert. In den kommenden Jahren sollen sie durch eine modernere Version ersetzt werden. Die Bundesregierung wollte dazu auch am Freitag nicht Stellung nehmen. Nicht einmal die Zahl der atomaren Sprengköpfe wird offiziell genannt, hinter den Kulissen ist von 20 die Rede. Im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe wären es im Ernstfall Piloten der Bundeswehr, die diese Waffen einsetzen müssten.

Der frühere Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte sich für einen Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland ausgesprochen und dieses Ziel, ein Versprechen aus seinem Wahlkampf, 2009 sogar in den Koalitionsvertrag schreiben lassen. Der Zeitpunkt schien günstig, schließlich hatte US-Präsident Barack Obama in einer Rede in Prag die Vision einer atomwaffenfreien Welt verkündet. Doch am Ende setzte sich Westerwelle mit seiner Forderung nicht durch. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag von 2013 war zwar immer noch vom Abzug der Atomwaffen aus Deutschland und Europa die Rede, dieser sollte aber erst nach erfolgreichen Abrüstungsgesprächen zwischen den USA und Russland erfolgen – ein Ziel, das derzeit in weiter Ferne scheint.

Preis als Appell für echte Abrüstungsverhandlungen

Das norwegische Nobelkomitee betonte am Freitag, es sei sich bewusst, „dass ein internationales gesetzliches Verbot allein keine einzige Atomwaffe vernichten wird“ und dass bisher weder die Staaten, die über Atomwaffen verfügen, noch ihre engsten Verbündeten das Verbot unterstützen. Das Komitee will die Auszeichnung für ICAN gerade deshalb ausdrücklich als Appell für die Aufnahme ernsthafter Abrüstungsverhandlungen verstanden wissen, die zu einer schrittweisen Beseitigung der insgesamt fast 15000 Atomwaffen führen sollten.

Der Friedensnobelpreis, der seit 1901 vergeben wird und von Alfred Nobel, dem Erfinder des Dynamits, gestiftet worden war, wird am 10. Dezember in Oslo verliehen. Der Preis ist mit fast einer Million Euro dotiert.

In Deutschland ist ICAN seit 2014 als eingetragener Verein aktiv. Die Zentrale in Genf hat gerade einmal vier Mitarbeiter, die Bewegung wird überwiegend von Freiwilligen getragen. Vor allem junge Leute sind dabei, die die alte Friedensbewegung in der Zeit des Kalten Krieges nur noch aus Erzählungen kennen.

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