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Friedensnobelpreis: Der Stuhl Liu Xiaobos bleibt leer

Zum ersten Mal seit 74 Jahren hat das Nobelpreiskomitee den Friedensnobelpreis nicht verleihen können, weil der Gewinner in Haft sitzt. Liu Xiaobo konnte an der Zeremonie in Oslo nicht teilnehmen.

Der chinesische Dissident verbüßt zurzeit eine elfjährige Haftstrafe und darf nicht ausreisen. Seine Frau und etliche seiner Anhänger wurden von den chinesischen Behörden unter Hausarrest gestellt, damit niemand den Preis an seiner Stelle entgegennehmen konnte. So blieb der für Liu vorgesehene Stuhl während der gesamten Zeremonie leer. „Lasst Liu frei!“, ermahnte der norwegische Nobelpreisvorsitzende Thorbjörn Jagland die Welt zum Schluss seiner Rede. Das gesamte Publikum im Osloer Rathaus erhob sich geschlossen und applaudierte. Der Sekretär des Nobelkomitees, Geir Lundestad, erklärte, der leere Stuhl bei der Zeremonie symbolisiere, wofür Liu den Preis erhalte. Zuletzt hatte Nazi-Deutschland 1936 Carl von Ossietzky eine Reise zur Entgegennahme des Preises verweigert.

China protestierte erneut scharf gegen die Ehrung. „Wir lehnen es strikt ab, dass ein Staat oder eine Person den Friedensnobelpreis instrumentalisiert, um sich in die inneren Angelegenheiten Chinas einzumischen oder seine Rechtssouveränität zu verletzen“, sagte die Sprecherin des Außenministeriums Jiang Yu am Freitag nach Berichten der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua.

US-Präsident Barack Obama würdigte Liu als Preisträger, der für „universelle Werte“ stehe. „Liu Xiaobo hat den Friedenspreis viel mehr verdient als ich“, erklärte Obama, der im vergangenen Jahr mit dem Preis ausgezeichnet wurde, in Washington. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton rief Peking abermals zur sofortigen Freilassung Liu Xiaobos auf. Auch die Bundesregierung forderte Lius Entlassung. Er habe sich mutig für politische Freiheit und für Menschenrechte eingesetzt und dabei stets auf friedliche Mittel gesetzt, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmans in Berlin. „Heute ist ein trauriger Tag für die Verteidiger der Menschenrechte“, sagte auch der Präsident des Europäischen Parlaments, Jerzy Buzek. Anstatt seinen Friedensnobelpreis zu empfangen, sei Liu noch immer im Gefängnis, und seine Frau stehe unter Hausarrest.

Die beiden Nachrichtensender BBC und CNN waren in China vorübergehend nicht zu empfangen. Von ihnen ausgestrahlte Berichte über Liu und die Übertragung der Verleihungszeremonie bekamen die chinesischen Fernsehzuschauer deshalb nicht zu sehen. Außerdem waren einige Nachrichtenseiten im Internet von China aus nicht mehr zugänglich.

Die chinesische Polizei umstellte am Donnerstag Lius Haus in Peking. Die Beamten kontrollierten die Ausweise von allen, die die Wohnanlage betreten wollten. Etliche Journalisten außerhalb der Anlage wurden von der Polizei in einen gesonderten Bereich gesperrt. Sicherheitskräfte haben zahlreiche, als Oppositionelle bekannte Aktivisten zum Verlassen der Hauptstadt gedrängt.

In der norwegischen Hauptstadt Oslo kam es am Donnerstagabend zu antichinesischen Protesten. Etwa 100 Demonstranten zogen in Richtung der chinesischen Botschaft und forderten die Freilassung des Regierungskritikers. Sie wollten in der Botschaft eine Petition mit über 100.000 Unterschriften für Liu überreichen, wurden von der Polizei aber vor dem Botschaftsgelände abgedrängt.

Die chinesischen Behörden hatten in den vergangenen Wochen erheblichen Druck auf ausländische Diplomaten ausgeübt, nicht an der Zeremonie teilzunehmen. Russland und Kasachstan blieben daraufhin der Feier fern, ebenso auch Länder, deren Regierungen dem Westen nahestehen – wie Afghanistan, Pakistan, der Irak, die Philippinen, Saudi-Arabien, Ägypten, Marokko, Tunesien und Kolumbien. Auch der Iran, Venezuela und Kuba schickten keine Vertreter nach Oslo. Lediglich Serbien und die Ukraine hatten nach Protesten im eigenen Land in letzter Minute angekündigt, doch an der Zeremonie teilzunehmen. mit dapd

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