zum Hauptinhalt

Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo: "Warum freust du dich?"

Im Oktober wurde verkündet, dass Liu Xiaobo den Friedensnobelpreis bekommt, der heute verliehen wird. Das wollte damals in China einer seiner Freunde spontan feiern. Doch die Einladungen, die er verschickte, fing die Polizei ab.

Ding Yu hat nicht viel Zeit. Nur eine knappe Stunde, dann fährt der Zug. Mit einem Freund will er in eine Stadt an der chinesischen Ostküste reisen, zu einer Bloggerkonferenz. Oder besser zu dem, was von der Bloggerkonferenz übrig geblieben ist. Die Polizei hat die Konferenz verboten, die Veranstalter haben keinen Raum bekommen. Ding Yu blickt auf sein Handy, auf dem per SMS weitere schlechte Nachrichten aus der Ostküstenstadt eintreffen. „Wir haben nirgendwo einen Raum bekommen, kein Hotel durfte an uns vermieten“, liest er. Er lacht dabei kräftig, obwohl das eigentlich nicht besonders lustig ist.

Vielleicht ist es die Aussicht auf ein wenn auch nur kurzes Abendessen in einem Restaurant im vierten Stock eines Einkaufszentrums einer chinesischen Millionenstadt, das seine Stimmung hebt. Nun bringt die Kellnerin auch noch eines seiner Lieblingsessen: Fisch nach Sichuan-Art, schwimmend in Chilischoten und Lippen betäubendem Sichuan-Pfeffer. Ding Yu greift zu den Essstäbchen.

Ding Yu trägt eigentlich einen anderen Namen, doch der muss ungenannt bleiben. Im Oktober standen Beamte der chinesischen Sicherheitspolizei in seiner Wohnung und haben seine Frau gewarnt. Ihr Mann solle sich in nächster Zeit in der Öffentlichkeit zurückhalten. Was passieren würde, wenn er es nicht macht, haben sie nicht gesagt. Aber es ist offenkundig, dass Ding Yu wieder ins Visier der chinesischen Sicherheitskräfte geraten ist. Schon früher haben Zivilbeamte vor dem Haus des Regimekritikers gestanden, nun sind sie wieder auf ihn aufmerksam geworden. Sein Vergehen: Er hatte sich am Abend des 8. Oktober gefreut.

„Hier“, sagt er und zeigt auf sein Handy. Laut liest er jene Nachricht vor, mit der er Freunde und Bekannte am Abend zum Essengehen eingeladen hat. Es sollte ein spontanes Freudenfest werden. „Genau eine Minute war ich aus der Tür“, sagt Ding Yu, „dann wurde ich von Zivilbeamten abgeführt.“ Mehrere Stunden verbrachte er anschließend auf einer Polizeiwache. Immer wieder hört er die Frage: „Warum freust du dich?“

Am 8. Oktober hat das Nobelpreiskomitee in Oslo bekannt gegeben, dass der Friedensnobelpreis 2010 an den inhaftierten chinesischen Regimekritiker Liu Xiaobo gehen werde. Am heutigen Freitag um 13 Uhr soll der mit einer Million Euro dotierte Preis in einer feierlichen Zeremonie im Rathaus von Oslo an den 54 Jahre alten Literaturdozenten übergeben werden. Doch sein Platz wird leer bleiben. Liu Xiaobo sitzt in einem Gefängnis in der Provinz Liaoning, er ist am Heiligen Abend 2009 zu elf Jahren Gefängnis wegen „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“ verurteilt worden. Weil er die „Charta 08“ mitverfasst hat, ein Manifest, das nach Reformen und Demokratie verlangt. Es fordert vor allem, dass sich China an seine eigenen Gesetze halten solle. Das reicht im China von heute, um für elf Jahre eingesperrt zu werden.

Shaji geihoukan – das Huhn töten, um den Affen zu erschrecken, heißt diese Methode auf Chinesisch. Elf Jahre sind die längste Haftstrafe, die je verhängt wurde, seit der Artikel 105 „Aufruf zum Umsturz“ in den 90er Jahren ins Strafgesetz eingeführt worden ist. Sie soll offenbar andere Dissidenten im Land davon abhalten, sich gegen die Einparteienherrschaft und für Demokratie einzusetzen. „Früher im kommunistischen China hätte das System jemanden wie Liu wahrscheinlich eliminiert“, schreibt der China-Experte Richard McGregor in seinem Buch „Die Partei – Die geheime Welt der kommunistischen Herrscher Chinas“. „Nun reicht es, ihn im Gefängnis schmachten zu lassen, um andere abzuschrecken, die so töricht sein könnten, ihm nachfolgen zu wollen. Das ist der Maßstab des politischen Fortschritts in China.“

Der Druck, den die Kommunistische Partei auf Dissidenten und Regimekritiker ausübt, ist seit den Olympischen Spielen 2008 in Peking wieder stark gestiegen. Tausende Menschen sollen aus politischen oder religiösen Gründen gegenwärtig in chinesischen Gefängnissen sitzen, schätzt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Der Druck der Partei geht nicht nur nach innen: Im August hatte Peking versucht, das Nobelpreiskomitee zu beeinflussen und die Verleihung zu verhindern, was nicht fruchtete. „Wenn ein Mann zu elf Jahren Gefängnis verurteilt wird, nur weil er seine Meinung gesagt hat, ist es unmöglich für das Komitee, ihm den Preis nicht zu verleihen“, sagte Thorbjörn Jagland, Präsident des Nobelpreiskomitees.

Also änderte die Regierung ihren Kurs und diffamiert Liu Xiaobo nun als Kriminellen und das Nobelpreiskomitee als Handlanger einer Verschwörung der westlichen Welt gegen China. In dieser Woche beleidigte die Außenamtssprecherin der Volksrepublik das norwegische Nobelpreiskomitee. Es orchestriere eine Anti-China-Farce, sagte sie. „Wir werden uns wegen der Einmischung von ein paar Clowns nicht ändern und nicht von unserem Weg abkommen.“ 18 Länder, darunter Serbien, Sudan und Russland, gaben offenbar dem Drängen der Chinesen nach und werden der Verleihungszeremonie fernbleiben. China fehlt als 19. Land. Die Regierung aber ist wütend.

Ding Yu hat diese Wut der Autokraten bereits am Abend des 8. Oktobers gespürt. „Warum freust du dich?“ Immer wieder diese Frage. Dabei ist es eigentlich klar, warum sich Ding Yu über den Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo freut. Er kennt ihn persönlich.

„Ich habe ihn vor einigen Jahren angerufen“, sagt er, „ich wollte ihn auf einen Fehler in einem seiner Texte hinweisen.“ Er sei nervös gewesen am Telefon, denn der Name Liu Xiaobo war für ihn schon damals nicht nur ein Begriff, Liu war für ihn eine Berühmtheit. Er wusste über dessen Rolle beim Massaker auf dem Tiananmenplatz am 4. Juni 1989. Wusste, dass Liu Xiaobo damals von einem Stipendium in den USA zurückgeflogen war, um der Demokratiebewegung beizustehen. Wusste, dass Liu Xiaobo, kurz bevor die Panzer auf dem Platz ankamen, hunderte Studenten dazu überredete, den Platz zu verlassen, und ihnen damit wohl das Leben rettete. Er wusste auch, dass Liu Xiaobo anschließend in den 90er Jahren dreimal in Gefängnissen und Arbeitslagern einsaß.

Am Telefon sah Liu Xiaobo seinen Fehler sofort ein, und die beiden Intellektuellen fanden schnell eine gemeinsame Wellenlänge. „Ich habe ihn seitdem mehrfach getroffen“, sagt Ding Yu. Er beschreibt den Friedensnobelpreisträger, der aussieht wie ein Mönch, als ruhigen, aber sehr entschiedenen Menschen. „Und er raucht sehr viel“, sagt Ding Yu.

Inzwischen hat sich ein Bekannter mit an den Tisch gesetzt. Auch er will nicht genannt werden. Er erzählt, dass er einen Tag nach Liu Xiaobos Verurteilung den Computer von dessen Frau Liu Xia untersucht habe. „Das Gerät war gehackt worden“, berichtet er, „aber sie hat es nicht gemerkt.“ Dann blicken sie auf die Uhr. „Wir müssen los“, sagt Ding Yu, „wir werden erwartet.“ Es ist nicht ganz klar, ob er seine Freunde meint.

Auch Liu Xia wird heute in Oslo den Preis nicht entgegennehmen können. Die Frau des Nobelpreisträgers, die für ihn Kontakt zur Außenwelt hält, steht seit der Bekanntgabe in Peking unter Hausarrest. Auch zwei Brüder Liu Xiaobos dürfen nicht ausreisen. Somit wird der Preis nicht, wie in den Regularien vorgesehen an den Preisträger oder einen nahen Verwandten übergeben werden können. Das ist zuletzt 1935 bei dem von den Nationalsozialisten inhaftierten Carl von Ossietzky passiert.

In einem offenen Brief im Internet hatte Liu Xia rund 140 Freunde und Gesinnungsgenossen nach Oslo eingeladen, um sie und ihren Mann zu vertreten. Von dieser Liste wird es wohl nur der in die USA geflüchtete Aids-Aktivist Wan Yanhai nach Norwegen schaffen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International schätzt, dass vor der Zeremonie rund 200 Chinesen inhaftiert, unter Hausarrest gesetzt oder an der Ausreise gehindert worden sind. Darunter der weltbekannte Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei, der in der vergangenen Woche am Pekinger Flughafen ein Flugzeug nach Seoul besteigen wollte. Er gefährde die Sicherheit des Staates, wenn er fliege, soll ihm gesagt worden sein. „Einfach dumm“, kommentierte Ai Weiwei diese Entscheidung. „Das zeigt der Welt wieder einmal, dass China seine eigenen Gesetze nicht respektiert.“

Der Friedensnobelpreis hat Liu Xiaobo aus der Masse der Dissidenten hervorgehoben. Er ist zum Gesicht der kleinen Opposition in China geworden. Bis vor kurzem ging es den meisten Chinesen wie dem Besitzer zweier In-Restaurants in Peking und Schanghai. Er sagt: „Ich hatte den Namen Liu Xiaobo noch nie gehört.“ Politik interessiert den Geschäftsmann nicht. Wie viele Chinesen in diesen Tagen kümmert er sich vor allem um sein wirtschaftliches Fortkommen. Trotzdem hat er in den Tagen nach dem Friedensnobelpreis den Namen „Liu Xiaobo“ in sein Handy getippt. Das Gerücht hatte die Runde gemacht, dass dieser Namen nicht mehr als SMS verschickt werden kann. „Ich wollte sehen, ob das stimmt“, erklärt der Geschäftsmann. „Das macht einem schon Angst.“ Es klappte aber noch.

Die chinesische Internetzensur hingegen hat die Wörter „Friedensnobelpreis“ und „Liu Xiaobo“ sofort nach der Bekanntgabe gesperrt. Chinas Internetnutzer wussten jedoch die Zensur zu umgehen. Sie sprachen fortan über den „Dynamit-Preis“, wenn sie über den Nobelpreis diskutieren wollten. Und weil die Silben „Xiaobo“ vom Klang her auch als „kleine Brüste“ übersetzt werden können, hieß der Friedensnobelpreisträger in Chinas sozialen Internetnetzwerken plötzlich: Liu Körbchengröße A.

Dessen Freilassung wird nun von westlichen Regierungen und Menschenrechtsorganisationen erneut gefordert. „Liu Xiaobos Verhaftung war ungesetzlich, sein Verfahren unfair und seine Verurteilung ungerecht“, sagt Sophie Richardson, Asien-Expertin von Human Rights Watch. „Er sollte freigelassen werden und gemeinsam mit seiner Frau reisen dürfen, um diese historische Auszeichnung anzunehmen.“ Doch anstatt ihn nach Oslo zu schicken, verlieh China in dieser Woche schnell einen eigenen Friedenspreis. An Taiwans früheren Vizepräsidenten Lien Chan, dessen Büro nichts von der Auszeichnung wusste, weshalb die Trophäe in seiner Abwesenheit einem kleinen Mädchen übergeben wurde. Der chinesische Preis soll den 1,3 Milliarden Chinesen „eine größere Stimme geben“, und er heißt „Konfuzius-Friedenspreis“.

Vielleicht aber sollte Chinas Regierung sich noch eingehender mit Konfuzius beschäftigen. Der chinesische Philosoph und Lehrmeister hat zahlreiche Weisheiten hinterlassen, darunter auch diese: Du kannst den Hahn einsperren – aber die Sonne geht trotzdem auf.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false