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Politik: Friedrich Merz: Mit dem Steuerdebakel der Union hat für den Fraktionsvorsitzenden die Reifeprüfung begonnen

Wie er klein wirkt. Wenn er sitzt, faltet er sich zusammen.

Wie er klein wirkt. Wenn er sitzt, faltet er sich zusammen. Dann hat er Normalmaß. Und wie jung sein Gesicht noch immer aussieht, auch drei Monate nach der Amtsübernahme. Selbst die dunklen Augenringe lassen ihn nicht älter erscheinen. Nur müder. Friedrich Merz ist in diesen Tagen - gereift?

Der Tag des Gau: Im Bundesrat stimmt die Union für die Steuerreform. So ist es jedenfalls draußen angekommen, auch wenn Merz Wert darauf legt, dass es drei Länder waren, in denen die CDU nur mitregiert. Gott behüte, der Peter Müller im Saarland, "der muss sich doch verkauft vorkommen". So sagt es Merz im Rückblick. Das klingt - mitfühlend? Das Wort passt nicht. Es passt nicht zu dem, was seine Augen sagen. Was er sagen will, ist das: Nur keine Wut jetzt, immer schön rational bleiben.

Friedrich Merz, das ist der eine Teil von Wolfgang Schäuble. Im wörtlichen und im übertragenen Sinn. Er hat das Amt des Fraktionschefs übernommen, Angela Merkel ist die Parteichefin geworden. Aber Merz ist auch: nur Kopf. Das klingt hart? Das Wort passt zu dem, was er sagt. Bloß eben nicht immer zum Ausdruck in seinen Augen.

Seine Welt ist klein geworden. Er lebt zur Zeit ganz für die Arbeit, "malocht" 16 Stunden am Tag, "pflügt" sich durch Termine, die eigenen, die von Schäuble übernommenen, jetzt auch die Krisentermine. Er reist im Urlaub mit der Familie nach Italien, das ist auch nicht so weit weg, dann kann er noch schnell zurückkommen zur Präsidiums-Sondersitzung seiner Partei am kommenden Montag. Aber heute, endlich, ist auch Zeit für einen Termin mit der Planungsgruppe. Planen, denken, die Stadt erleben, ins Kino gehen, in die Kneipe, ins Theater, Oper - "ach Gott", Merz sagt selbst, dass er zu viel zu tun hat. Zu viel für einen, der doch viel denken soll, für viele planen, Themen erkennen und besetzen will. Die Frage, ob in der Mitte Berlins das alte Stadtschloss wieder erstehen soll, die interessiert ihn schon sehr, und darüber hat er auch mit Wilhelm von Boddien geredet, dem Initiator des Aufbaus, aber wieder nur kurz, viel zu kurz.

Und wenn er sich das so überlegt, empfindet er dann wirklich keine Wut? Regt er sich nicht auf, dass Eberhard Diepgen und Jörg Schönbohm der Steuerreform zugestimmt haben? Merz schaut. Und schaut. Dann sagt er, dass er schon noch deutlicher sagen wird, was er darüber denkt. Es wird, wenn der Eindruck nicht täuscht, deutlich genug sein.

Merz sagt, er habe nur eine Nacht schlecht geschlafen. Nur die eine Nacht nach diesem Gau? Er behauptet, er könne das trennen, damit umgehen. Am Freitag, am Tag der Niederlage, konnten sie es "nicht mehr wuppen", ihre Haltung als Union nicht mehr rechtzeitig ändern. Da war längst alles klar: Keine Absprache galt mehr. Ein "öffentliches Trara" soll es jetzt aber nicht geben, nein, nicht mit ihm, nicht von ihm. Er will doch "kein schlechter Verlierer" sein - bloß nicht. Da ist es schon klüger, kühl darüber zu reden. So kühl wie eben möglich.

Ja, Friedrich Merz ist der Verlierer. So wird er wahrgenommen, fast überall, und er nimmt es auf sich, im Sinne von: Er absorbiert diese Niederlage. Merz fügt sie ein in seinen Lebenslauf. Aber als einen Unterpunkt. Da wird es dann wie bei einer Bilanz, mit Soll und Haben. Was er alles hätte erreichen können, vor allem erreichen sollen ... Auf der anderen Seite kann ihm seit Freitag niemand mehr vorwerfen, er habe eine völlig bruchlose Biografie. Bis jetzt hat er "Glück gehabt". Ohne Brüche keine Reife.

Wenn er sich das im Nachhinein alles noch einmal richtig überlegt, dann war der Begriff der "Systemfrage" vielleicht nicht ganz so klug gewählt. Das ärgert ihn, dieses Wort. Er wollte doch die unterschiedliche Steuerpolitik auf einen Begriff bringen, das Ganze "in die Grundsätze zwingen". Das ist nicht gelungen. Fürs nächste Mal will er sich eine andere "Kommunikationsstrategie" überlegen. Das nächste Mal.

Schon bei der Krankenversicherung, der Anpassung der Rente, der Steuerreform und - am selben Tag - bei der Green Card hat das Zusammenspiel der Union in Bundestag und Bundesrat nicht geklappt. Vier Mal. Die Union hat im Bundestag die Macht verloren, aber im Bundesrat ist sie noch so stark, dass sie mitregieren kann. Könnte. Aber so wie beim letzten Mal geht es eben nicht.

Wie es weitergehen soll, ist für ihn klar: "Nicht auf jeden Spatz aus Kanonenrohren schießen", dafür entschieden Opposition machen - im Bundestag. Auf den Bundesrat ist ja kein Verlass mehr, auf Diepgen, auf Schönbohm. Das denkt und sagt auch Edmund Stoiber, der bayerische Ministerpräsident. Stoiber, der seit Freitag so richtig wütend ist, was man schon daran ablesen kann, dass CSU-Generalsekretär Thomas Goppel in München Eberhard Diepgen vor dem Verlust der Mehrheit im Berliner CDU-Verband gewarnt hat. Merz hat Stoiber, aber keinen Goppel. Er muss, wenn es ernst wird, die Augen sprechen lassen.

Also, über eine harte Auseinandersetzung im Bundestag soll es zur Sache gehen - dort, wo Merz zugleich eine "systematische Entparlamentarisierung" durch den Kanzler verzeichnet. Wo das Kanzleramt über Stunden nicht auf der Regierungsbank vertreten ist, weil außerhalb des Parlaments Themen gesetzt, inszeniert und bis zur Entscheidungsreife gebracht werden. Und trotzdem? Trotzdem! Jetzt erst recht, weil doch im Bundestag "Rot-Grün zur eigenen schleichenden Entmachtung beiträgt", wie Merz sagt.

Aber es wäre ja auch wieder unklug, das Problem nicht genau zu benennen: Mitregieren ist passé, die Union muss sich mit der Machtferne arrangieren. Deshalb Diskurs mit den Menschen draußen im Land, über Themen wie Bildung, daneben Debatten drinnen im Bundestag - so ungefähr soll es gehen. "Den Bauch", sagt Friedrich Merz nach einigem Nachdenken, "sprechen wir auch noch an." Er lernt es gerade.

Jetzt muss er los. Die Termine, die Pflichten! Das ist der letzte Eindruck: Um hoch zu kommen, muss er sich entfalten.

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