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Politik: Fritz Kuhn im Interview: "Wir sind scharf auf neue Mitglieder"

Fritz Kuhn (46) ist seit Juni vergangenen Jahres Bundesvorsitzender der Grünen. Zuvor war er Grünen-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag und profilierte sich als führender Vertreter des realpolitischen Flügels seiner Partei.

Fritz Kuhn (46) ist seit Juni vergangenen Jahres Bundesvorsitzender der Grünen. Zuvor war er Grünen-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag und profilierte sich als führender Vertreter des realpolitischen Flügels seiner Partei. Das neue Grundsatzprogramm wertete Kuhn als Zeichen dafür, dass die Grünen eine Partei der "linken Mitte" seien und sich vom "Alarmismus" der alten Grünen abgesetzt hätten.

Wieder ein G-8-Gipfel im Schatten der Gewalt. Ist ein Mitglied des Grünen-Vorstands bei den Globalisierungsgegnern?

Nein, von uns ist keiner in Genua. Wir sehen Gefahren der Globalisierung, wollen den Prozess aber positiv gestalten. Es geht darum, soziale Mindeststandards und eine nachhaltige Entwicklung weltweit zu sichern. Ich nehme einen Teil der Argumente der Globalisierungsgegner ernst, auch wenn ich nicht pauschal gegen Globalisierung bin. Die Proteste müssen gewaltfrei sein, und auch die Polizei muss deeskalieren.

Sind Sie denn für eine Spekulationsabgabe?

Viel zu oft werden die nationalen Steuergesetze durch Kapitaltransfers umgangen. Aber ich bin sehr skeptisch, ob dies durch eine in Deutschland oder in Europa erhobene Steuer geregelt werden kann.

Die Grünen sollen mit dem neuen Grundsatzprogramm in die "linke Mitte". Was ist das: linke Mitte?

Unser Grundsatzprogramm beschreibt das sehr deutlich. Bei uns gibt es wertkonservative Elemente, etwa in den Konzepten zum Naturschutz. Das ist nicht zu verwechseln mit strukturkonservativ: Wir wissen, dass Werte verändert werden müssen, wenn sie bewahrt werden sollen. Wir sind zugleich eine linke Partei. Links bedeutet, bei sozialen und gesellschaftlichen Problemen solidarische Lösungen zu suchen. Die Rechten dagegen neigen dazu, Probleme wie Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfe dem Individuum zuzuschieben, das dann sehen soll, wo es bleibt. Gegenüber der Traditionslinken - der PDS, Teilen der SPD - betonen wir das Gesellschaftliche und das Aktivierende des zukünftigen Sozialstaats.

Stichwort links: Finden Sie, dass die Bankenmacht zu unkontrolliert ist?

Zunächst muss die Bankenaufsicht, die wir heute haben, verbessert werden. Die Berliner Bankgesellschaft ist ein Beispiel für ein Aufsichtsversagen. Gewiss wirft die Macht der Banken mit den angesammelten ungeheuren Kapital-Mengen in einer demokratischen Gesellschaft auch Probleme auf.

Wundert es Sie, dass es in der Partei fast keinen Widerstand gegen den Programmentwurf gibt, der die Partei in die Mitte rückt?

Nein. Wir haben die Partei von Anfang an sehr breit beteiligt. Darin steckt ein Jahr Arbeit. Natürlich wird es dennoch Diskussionen geben, zum Beispiel in der Gesundheits- und Sozialpolitik: Trägt unser Konzept des künftigen Sozialstaats als einer Einrichtung, die Menschen in die Lage versetzt, sich selbst helfen zu können? Ich persönlich bin sehr für diese Konzeption. Sie ist innovativ und gerecht.

Können Sie sich vorstellen, dass der parteilose Wirtschaftsminister Müller dem nächsten Bundestag auf Grünen-Ticket angehört? Inhaltlich liegen Sie nicht weit auseinander.

Wenn Sie die Pläne von Herrn Müller zur Gesundheitspolitik anschauen, sind wir nicht so nah beieinander. Seine Vorstellung, den Arbeitgeberanteil als Lohn auszuzahlen, um mit diesem Geld private Krankenversicherungen zu bezahlen, ist skurril.

Das ist nur ein Detail seiner Konzepte.

Ich finde es gut, dass der Bundeswirtschaftsminister klar für eine Gesundheitsreform plädiert. Die Reform des Gesundheitswesens ist eine Daueraufgabe. Das medizinisch Notwendige sollte wie bisher pflichtversichert werden. Zugleich sollten die Patienten Zusatzleistungen mit privaten Versicherungspaketen abdecken können.

Bekommt Werner Müller nun einen Platz?

Wenn Herr Müller einen Aufnahmeantrag unterschreibt, nehmen wir ihn nach einer kurzen Prüfung sicher auf. Als kleine Partei sind wir scharf auf neue Mitglieder.

Nochmal zum Programm: Macht Joschka Fischer grüne Außenpolitik?

Joschka ist ein Grüner, der deutsche Außenpolitik mit Blick auf unsere europäische Zukunft macht. Und wenn man die Ziele der grünen Außenpolitik anschaut - Gewaltfreiheit, Menschenrechte -, hat er eine Menge erreicht.

Kosovo, Mazedonien, alles gewaltfrei?

Wir haben in der Außenpolitik zwei Grundüberzeugungen. Die eine ist die der Gewaltfreiheit. Und wir haben das Prinzip der Universalität der Menschenrechte. Kosovo war ein Dilemma, weil diese Grundsätze miteinander in direktem Widerstreit standen. Die Entscheidung, die Bundeswehr in den Krieg nach Kosovo zu schicken, war schmerzhaft, aber richtig. Ich freue mich, dass sich Slobodan Milosevic vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten muss, auch das ist eine Folge der Entscheidungen von 1999.

Und Mazedonien?

Wenn die demokratisch gewählte Regierung in Skopje in Übereinstimmung mit den Konfliktparteien fragt, ob wir bei der Entwaffnung helfen können, werden wir das kaum abschlagen können. Statt der politischen Lösung droht sonst ein Bürgerkrieg.

Ist es für eine einst pazifistische Partei schwierig, solch eine militärische Logik zu vermitteln?

Natürlich. Denn wir sind und bleiben eine gewaltfreie Partei. Nur: Eine Partei, die Menschenwürde nicht nur als Worthülse im Mund führt, muss sich Konflikten stellen. Wir werden in den nächsten Jahren immer häufiger mit innerstaatlichen Konflikten, mit Menschenrechtsverletzungen aus ethnisch-nationalistischen Gründen und Bürgerkriegen konfrontiert sein. Darauf muss die Außenpolitik aller demokratischen Staaten eine Antwort finden. Krisenprävention steht dabei im Vordergrund. Ich betone: Kosovo ist für uns kein Präzedenzfall. Aber eine Partei wie unsere schaut nicht weg.

Der PDS hat es viel Zustimmung gebracht, sich als Anti-Kriegs-Partei zu positionieren.

Eine Anti-Kriegs-Partei PDS macht mir niemand weis. Die PDS hat im Kosovo-Konflikt eine taktische Position eingenommen, mehr nicht. Die PDS als pazifistische Partei bei der Vergangenheit vieler ihrer Mitglieder, das wäre wie der Wolf im Schafspelz.

Wird es den Grünen schaden, mit der PDS in Berlin in eine Koalition zu gehen?

Wir führen keinen Koalitionswahlkampf. Im Übrigen ist Gysis größtes Problem die strukturkonservative PDS.

Warum?

Das, was Gysi jetzt im Wahlkampf erzählt, passt mit der PDS-Programmatik überhaupt nicht zusammen. Ein Beispiel: Der neue Programmentwurf der PDS wendet sich gegen weitere Privatisierungen und fordert sogar neue Verstaatlichungen. Gysi sagt, wir haben zuviel Staatsbeteilungen in Berlin, er wolle hier privatisieren. Die PDS ist eine streng staatsfixierte Partei. Ihr Programm verspricht lauter soziale Umverteilungen, es gibt keine Vorstellung von deren Finanzierbarkeit. Wir werden im Berliner Wahlkampf und im Bundestagswahlkampf unterscheiden müssen, wie hip Gysi sein will und wie spießig seine Partei ist.

Warum wollen Sie überhaupt mit der PDS zusammenarbeiten?

Ich will nicht mit der PDS zusammenarbeiten. Es gibt genügend Gründe, eine mögliche Koalition problematisch zu finden. Wenn allerdings der Wahlausgang in Berlin nur eine Große Koalition oder Rot-Rot-Grün möglich macht, dann muss die rot-rot-grüne Variante verhandelt werden. Die ganze Republik würde sich doch scheckig lachen, wenn am Ende der Prozedur wieder eine Große Koalition steht.

Aber Sie müssen ein Interesse daran haben, die Koalitionsoptionen zu erweitern.

Grundsätzlich habe ich das auch. Es ist logisch, dass man mit mehreren Möglichkeiten politisch gemütlicher fährt. Diese PDS-Geschichte in Berlin ist aber keine Option, sie ergibt sich nur aus der besonderen Situation in der Hauptstadt. Manche Optionen sind nur Schein-Optionen. Die SPD hat die Option mit der FDP auch nur rechnerisch, selbst wenn sich immer wieder allerhand Leute zum Frühstück beim Kanzler versammeln. Wenn die SPD den Kurs einer Modernisierung Deutschlands mit sozialer Gerechtigkeit wirklich ernst meint, wird sie nicht mit der FDP koalieren.

Apropos Gerechtigkeit: Wer ist eigentlich die Lobby der Arbeitslosen?

Eine moderne Gerechtigkeitspartei wie die Grünen muss denen helfen, die keine Arbeitsplätze haben. Wir brauchen eine neue Arbeitsmarktpolitik, die Arbeitslosen den Weg in den Erwerbsarbeitsmarkt ermöglicht. Das ist eine Frage der Zugangsgerechtigkeit. Wir brauchen befristete Lohnsubventionen für die Rückkehr von Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt. Wir brauchen mehr Teilzeit. Deswegen bin ich dafür, im Bereich von Jobs zwischen 630 und 1800 Mark die Lohnnebenkosten degressiv zu subventionieren. Und ich bin für Kombi-Löhne, das heißt, dass man zur Sozial- und Arbeitslosenhilfe dazuverdienen kann und nicht alles abgeben muss.

Warum nicht außerdem die Konjunktur stimulieren mit Zinssenkungen?

Das kann man machen oder auch nicht. Ich halte nichts von Konjunkturprogrammen à la CDU, die ja jetzt auch den Oskar macht. Das ist wie Schnaps trinken in der Winternacht. Das sorgt für ein kurzes Wärmegefühl, danach wird es nur kälter.

Und warum ziehen Sie nicht die nächste Stufe der eingeplanten Steuersenkungen vor?

Das wäre ein finanzpolitisches Abenteuer. Wenn wir diesem Unionsvorschlag stattgeben würden, hätten wir im nächsten Haushaltsjahr einen Ausfall von 65 Milliarden Mark, der sich nur zum Teil refinanzieren lässt. Der Vorschlag ist heuchlerisch: Die unionsgeführten Bundesländer, die das mitfinanzieren müssten, würden doch gar nicht mitmachen.

Sparen wird bei Ihnen scheinbar zum Selbstzweck.

Sparen ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass Investitionen der öffentlichen Hand in Zukunft möglich sind. Das nenne ich solide Politik.

Beim Wähler kommt das offenbar nicht an. Seit 1998 kassieren die Grünen Wahlniederlagen in Serie.

Natürlich konnten wir als Oppositionspartei im Bund einfacher Punkte machen. In der Regierung haben wir zunächst verloren. Aber wir werden bei der nächsten Bundestagswahl auch wieder zulegen, weil wir eben nicht Windhundpolitik machen.

Die SPD unter Hans Eichel hat viel von der grünen Finanzpolitik übernommen.

Haushaltskonsolidierung ist grün. Hans Eichel wird trotzdem bei der SPD bleiben.

Ausgerechnet in der Ökologiepolitik sehen Sie schlecht aus. Eine Niederlage wie die von Jürgen Trittin beim Dosenpfand im Bundesrat muss Sie doch mächtig ärgern.

Klar ärgert mich die fehlende Mehrheit der Bundesregierung, weil SPD-geführte Länder Trittins Vorlage nicht zugestimmt haben. Ich bin sauer, dass NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement sich faktisch zum Erfüllungsgehilfen der bayerischen Staatsregierung gemacht hat. Die Bundesregierung stand geschlossen hinter Trittins Dosenpfand. Wir sind in der Umweltpolitik ungeheuer erfolgreich. Trittin ist der erfolgreichste Umweltminister, den Deutschland je hatte.

Nach der verlorenen Wahl in Baden-Württemberg wollten Sie ihn aber noch loswerden.

Wo haben Sie das denn her? Ich habe immer gesagt, es wäre für den Lernprozess der Partei völlig falsch, Trittin die Schuld für verlorene Landtagswahlen zuzuschieben.

Sprechen die Grünen denn noch ausreichend das Bauch-Gefühl potenzieller Wähler an?

Die Grünen haben sich verändert. Wir sind politischer geworden. Der Spruch "Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt" ist ein sehr warmherziger Spruch der Grünen gewesen. Aber die Grünen können sich auch heute noch hinter diesem Spruch sammeln. Ich bin sicher, dass das neue Grundsatzprogramm auch die Seele der Partei ansprechen wird.

Welches große Projekt sollte bis zur Bundestagswahl 2002 umgesetzt werden?

Wir müssen vor allem in der Arbeitsmarktpolitik weiterkommen.

Viel Spaß beim Gespräch mit dem Bundeskanzler!

Die Gespräche mit dem Bundeskanzler gehören nicht in die Kategorie der Spaßgesellschaft. Wir gehen nicht mit Spaßerwartungen in solche Gespräche, sondern mit Leidenschaft für die Sache und durchaus konfliktfreudig. Das ist harte Arbeit.

Wieder ein G-8-Gipfel im Schatten der Gewalt. Ist

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