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Politik: Front im Volk

Von Stephan-Andreas Casdorff

Wenn man sich doch nur sein Volk wählen könnte. Eines, das sich anpasst an die Wirklichkeit, wie sie ihm dargestellt wird; das brav sein Haupt beugt und klaglos erträgt, was sich alles in seinem Leben ändert. Ja, so hätte sie es gerne, unsere politische Klasse. Und so redet sie daher: Als sei sie der Souverän – einer aus vergangenen Zeiten. Das soll richtig sein?

Zehntausende demonstrieren, der Protestgesang schwillt an, und das kurz vor den SeptemberWahlen im Saarland, in Brandenburg und Sachsen, in Nordrhein-Westfalen. So weit ist es inzwischen gekommen, dass gerade noch sechs Prozent der Bundesdeutschen Vertrauen in ihre Politiker haben. Sechs Prozent! Das ist wahre Wirklichkeit. Da muss doch was verkehrt sein.

Faszinierend daran ist: Die Politik weiß es. Georg Milbradt, dem plötzlich die Knie in Sachsen so sehr schlottern, dass er sich als mitfühlender Konservativer an die Protestierer heranmacht, sagt: Man muss erst die Reformen erklären, von ihrer Notwendigkeit überzeugen, und sie dann machen. Daran hätte der Ministerpräsident sich halten sollen, als er noch stärkere Einschnitte forderte. Und hieran zeigt sich der Grundwiderspruch. Welche Reform gemacht wird, steht anfangs längst nicht fest; und wer für welche steht, auch nicht. Da ist die Opposition im Bund, jedenfalls die Union, nicht besser als die rot-grüne Regierung. Es wird taktiert, aus Eigennutz. Das sieht das Wahlvolk. Man kann es nicht für dumm verkaufen.

Und in dieser Lage, einer mit wachsenden Sensibilitäten und Zweifeln, ob nicht der Kurs der Politik verkehrt sei, kommt der Kanzler und drischt polemisch drein. Eine „Volksfront“ von Union und PDS, ein „abartiges Bündnis“ – man könnte psychologisierend sagen, dass so keiner redet, der seiner Sache sicher ist. Man darf sagen, dass so keiner reden sollte, der Vertrauen in die Politik vom Volk zurückholen will.

Bei Schröder gilt, dass die Menschen ihm vielleicht noch folgen und die Einschnitte leise murrend ertragen würden, wenn sie nur das Gefühl hätten, dass es zu etwas Gutem führt. Bloß glauben sie nicht nur im Osten, dass nicht zu einem Arbeitsbeschaffungsprogramm wird, was er vorhat, sondern zu einem Armutsbeschaffungsprogramm. Dass Rot-Grün die schröpfen will, die schon unten sind. Und dass die, die unten sind, den Mittelschichten in ihrer Angst den sozialen Abstieg vorführen. Nach sechs Jahren Schröder-Regierung fehlt die Empirie, dass dieser Weg richtig ist. Immerhin hat er schon einige ausprobiert.

Wäre es nicht doch richtiger gewesen, erst die Steuer durchgreifend zu reformieren, auch so, dass sie auf eine Karteikarte passt, um Investitionen zu fördern und damit Arbeitsplätze und dann die Nachfrage nach Konsum? Erleben wir vielleicht das richtige Modell zur falschen Zeit? Sparen wir im Abschwung? Diese Fragen werden nicht deshalb verkehrt, weil sie auch von Protestierern gestellt werden. Aber die Antworten werden dringender.

Vertrauen ist der Schlüssel zum Verständnis. 2002 vertrauten die Wähler Schröder noch einmal, seither entziehen sie sich bei jeder Wahl mehr. Ständig verliert die SPD Mitglieder, Tausende kommunale Mandate sind schon weg, in den Wahlkämpfen verzichten die Kandidaten aufs Parteilogo. Demonstrativ wenden sie sich ab von der Bundesprominenz. Noch regiert er. Nur ist der Verlust des einen nicht mehr automatisch der Gewinn der anderen: Auch die Union verliert deutlich in der Wählergunst.

Grundlage von Vertrauen ist das Bemühen um Wahrhaftigkeit. Diesen Anspruch macht das Volk jetzt geltend. Denn die Politik wirkt weit entfernt von den Ängsten der Menschen draußen im Lande, wie Helmut Kohl immer so schön sagte. „Volksfront“, der Begriff des Kanzlers, ist auf Union und PDS bezogen schon historisch falsch. Aber so, wie er verwendet wird, klingt auch etwas an, das zum Schaden sogar der Demokratie ausgehen könnte. Front gegen das Volk zu machen – wer kann glauben, dass sich das in Wählerprozenten auszahlt?

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