zum Hauptinhalt
Der Eingang zum ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

© dpa

Früherer SS-Offizier in Auschwitz angeklagt: Oskar G., mit 18 in der NSDAP, mit 19 in der Waffen-SS

Die Staatsanwaltschaft Hannover hat Anklage gegen einen 93-Jährigen wegen Beihilfe zum Mord in Auschwitz erhoben. Wer ist dieser Mann, der in einem der letzten NS-Prozesse vor Gericht stehen könnte?

In Deutschland könnte es fast 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nun doch noch einen Auschwitz-Prozess geben: Die Staatsanwaltschaft Hannover hat Anklage gegen einen früheren Offizier der Waffen-SS erhoben. Ihm wird Beihilfe zum Mord an mindestens 300000 Menschen in dem nationalsozialistischen Vernichtungslager zur Last gelegt. Oskar G. habe geholfen, „das auf den Bahnrampen im Lagerbereich Birkenau zurückgelassene Gepäck neu eintreffender Häftlinge wegzuschaffen“, erklärte die Staatsanwaltschaft Hannover. „Damit sollten die Spuren der Massentötung für nachfolgende Häftlinge verwischt werden.“ Der heute 93-Jährige, der in der Lüneburger Heide lebt, hat nie bestritten, in Auschwitz gewesen zu sein. Das Landgericht Lüneburg muss nun entscheiden, ob Oskar G. der Prozess gemacht wird.

Mit 18 Jahren in der NSDAP, mit 19 in der Waffen-SS

Wer ist dieser Mann, der nun Angeklagter in einem der letzten NS-Prozesse werden könnte? Oskar G. wird 1921 in Nienburg geboren. In seiner Familie denkt man deutschnational. Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten tritt er in die Hitlerjugend ein, mit 18 Jahren wird er Mitglied der NSDAP. Ein Jahr später meldet er sich freiwillig zur Waffen-SS. Der junge Sparkassenangestellte ist zielstrebig, er will in der Verwaltung der Waffen-SS Karriere machen.

Auf der Rampe von Auschwitz habe er nur "Koffer bewacht", sagt er

Im Herbst 1942 versetzt ihn das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS nach Auschwitz. Als sein neuer Vorgesetzter erfährt, dass er sich mit Zahlen auskennt und mit Geld, dass er eine Banklehre gemacht hat, wird er in der Häftlingsgeldverwaltung eingesetzt, in der „Devisenabteilung“. Seine Aufgabe ist es von nun an, das Geld der ermordeten Juden entgegenzunehmen, zu zählen und nach Berlin zu schicken. Einige Male fährt er selbst in die Hauptstadt, um das Geld dort abzuliefern. Manchmal steht Oskar G. auch an der Rampe, wenn ein Zug ankommt. Später sagt er in einem BBC-Interview, er habe dort nur „Koffer bewacht“.

Die Anklage beschränkt sich auf den Zeitraum zwischen dem 16. Mai und dem 11. Juli 1944. In diesen zwei Monaten kamen mindestens 137 Züge aus Ungarn in Auschwitz-Birkenau an, 425000 Menschen waren in den Viehwaggons eingesperrt. Die Staatsanwälte in Hannover gehen davon aus, dass mindestens 300000 von ihnen – wahrscheinlich mehr – nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet wurden. All das sei Oskar G. bewusst gewesen, betont die Staatsanwaltschaft in ihrer Erklärung. Durch seine Tätigkeit habe er „dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Tötungsgeschehen unterstützt“.

Alle Aufgaben "mit Fleiß und Sorgfalt erledigt"

Zwei Jahre lang bleibt Oskar G. in Auschwitz, er wird bis zum Unterscharführer befördert. Als er im Oktober 1944 auf eigenen Wunsch versetzt wird, stellen ihm seine Vorgesetzten ein makelloses Zeugnis aus. Alle Aufgaben habe er „mit Fleiß und Sorgfalt erledigt“. Weltanschaulich sei er „gefestigt“.

Angehörige von Ermordeten hoffen auf Gerechtigkeit

Sollte es zu einem Verfahren gegen den 93-Jährigen kommen, werden 21 Personen es als Nebenkläger mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen: Sie sind Angehörige von ungarischen Juden, die zwischen Mai und Juli 1944 in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurden. Einige von ihnen haben das Vernichtungslager selbst überlebt. „Sie mussten als Kinder im Sommer 1944 auf der Rampe in Auschwitz mitansehen, wie ihre Eltern und Geschwister von ihnen getrennt und in die Gaskammern gebracht wurden“, sagt der Rechtsanwalt Thomas Walther, der mehrere Nebenkläger gemeinsam mit seinem Kollegen Cornelius Nestler vertritt. Das Strafverfahren gegen Oskar G. sei für die Nebenkläger „wohl die letzte Chance, dass einer der SS-Männer, der bei der Ermordung ihrer nächsten Verwandten und vielfach der ganzen Familie mitgeholfen hat, sich seiner Verantwortung zu stellen hat“.

Zur Startseite