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Politik: „Frust und Gewaltbereitschaft“

Der Chef der größten Bank im Land zum Grund der Unruhen

FRIEDER

WÖHRMANN (36)

leitet die Micro Enterprise Bank – die größte im Kosovo. Sie wurde von internationalen Trägern für den Wiederaufbau gegründet. Foto: R/D

Wie sieht die aktuelle Situation in Pristina und Mitrovica aus?

Über Nacht hatte sich die Situation etwas beruhigt. In Mitrovica zum Beispiel war die Ausgangssperre weitgehend eingehalten worden. In Prizren aber gab es Übergriffe von Albanern auf Kirchen und serbische Häuser, und hier bei uns in Pristina wurden Autos der Vereinten Nationen von Jugendlichen angezündet. Am Donnerstag ist es aber in Mitrovica wieder zu Zusammenstößen gekommen, bei denen Panzer und Tränengas eingesetzt wurden.

Demonstrieren diese Leute gegen die serbische Minderheit?

Der Protest richtet sich eher gegen die UN-Verwaltung als gegen die Serben. Die zwei toten albanischen Kinder waren nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die Unzufriedenheit der Leute geht viel tiefer.

Also kein Rassenhass, sondern die Unzufriedenheit über fehlende Fortschritte?

Zumindest ist das der Grund dafür, dass sich die Proteste so schnell und flächendeckend ausgebreitet haben. Die Übergriffe zum Beispiel in Prizren hatten keinen ethnischen Hintergrund, sondern richteten sich meiner Meinung nach gegen die internationale Verwaltung hier. Wir sehen zunehmend, dass diese Unzufriedenheit genutzt werden kann. Und es gibt ganz eindeutig Strukturen, die das auch tun. Die Eskalation am Mittwoch hat gezeigt, dass das schon funktioniert: Innerhalb weniger Stunden brennen ganze Städte.

Wer steckt dahinter?

Ich schätze, albanische Nationalisten. Sie sind enttäuscht darüber, wie sich die Lage nach dem Krieg entwickelt hat. Sie sehen keine Fortschritte in Richtung Unabhängigkeit. Viele von denen, die am Mittwoch demonstriert haben, waren Jugendliche, 17-Jährige, 20-Jährige. Sie haben kaum Chancen, sich im Kosovo ihr eigenes Leben zu organisieren. Dieser Frust paart sich mit einer latenten Gewaltbereitschaft.

Über was sind die Menschen so wütend, gerade in Bezug auf die UN-Verwaltung?

Viel bezieht sich auf den Privatisierungsprozess, der strikt durchgezogen worden ist. Ende 2003 hat man die Privatisierung aber gestoppt, weil es rechtliche Vorbehalte gab, ob serbisches Eigentum privatisiert werden darf. Außerdem ist die wirtschaftliche Entwicklung nicht in der Lage, die hohe Arbeitslosigkeit aufzufangen. Die Hälfte der Leute im Kosovo ist ohne Job.

Was müsste passieren, um dem Land auch wirtschaftlich eine Perspektive zu bieten?

Es ist die ungelöste Statusfrage, die Anreizsysteme für wirtschaftliches Handeln verhindert. Kann ein Land nicht exportieren, sondern nur Import-Substitution betreiben, schafft das wenig Arbeitsplätze. Zumal die Versorgung mit Gütern durch die Nähe zum Westen relativ gut ist. Die Frage muss politisch gelöst werden: Wie kann das Kosovo in die regionale Wirtschaft wieder eingegliedert werden?

Ist die Forderung der UN – Standards vor Status – also nicht gerechtfertigt?

Ich denke, der Weg ist der richtige. Es müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein, bevor man Unabhängigkeit oder wie auch immer geartete Autonomie einführen kann. Aber die Fortschritte sind sehr gering. Das liegt auch an Serbien. In Belgrad herrscht nach wie vor wenig Gesprächsbereitschaft über alles, was eine Unabhängigkeit des Kosovo zur Folge haben könnte.

Das Gespräch führte Sven Lemkemeyer.

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