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Fuad Siniora: Ein stiller Arbeiter entwickelt Charisma

Libanons Regierungschef Fuad Siniora gilt als fleißig und scheu. Israels Angriffe locken ihn nun aus der Reserve. Ein Porträt

Beirut - Am Anfang sah es so aus, als traue sich Fuad Siniora nicht hinaus auf die große Weltbühne. Tag und Nacht warf Israel Bomben auf sein Land ab, doch der libanesische Ministerpräsident blieb auffällig still. Mittlerweile ist es mit dieser Ruhe vorbei. Seit die Geschosse in immer mehr Regionen einschlagen und dabei immer mehr Zivilisten getötet werden, macht sich der sonst so zurückhaltende Regierungschef inzwischen täglich mit deutlichen Worten Luft. Mit flammenden Appellen richtet sich der 63-Jährige an die Weltöffentlichkeit, in deren Rampenlicht die israelischen Angriffe ihn unversehens katapultiert hatten.

Bis dahin galt Siniora eher als ebenso treuer wie stiller Gefolgsmann des charismatischen Geschäftsmannes und Politikers Rafik Hariri. Als dieser 1992 seine erste Regierung formte, machte er seinen langjährigen Freund, der sein Wirtschaftsdiplom an der Amerikanischen Universität Beirut abgelegt hatte, zum Finanzminister. In Hariris Regierungsjahren bis 2004 stieß Siniora zahlreiche Wirtschafts- und Sozialreformen an. Er begleitete den Regierungschef auf allen Auslandsreisen, wo er enge Kontakte mit der Finanzwelt knüpfte und mittlerweile über ein solides Netzwerk verfügt.

Schöngeistige Hobbys

Doch so gut sein Ruf als Finanz- und Wirtschaftsexperte ist - dass er als Regierungschef eigenes Format gewinnen könnte, war vor einem Jahr noch nicht abzusehen. Nach seiner Wahl hatte sich Siniora vor allem nüchterne Reformen zum Ziel gesetzt - und die Fortführung von Hariris Erbe. Privat hängt der dreifache Vater schöngeistigen Hobbys nach: arabische Literatur, orientalische Musik und das Schreiben eigener Gedichte.

"Popularität war nie sein Ziel, und er hat auch nicht davon geträumt, ein charismatischer Führer zu werden», heißt es in seinem Mitarbeiterstab. Allerdings sei Siniora nicht nur ein ruhiger, sondern auch ein sehr entschlossener Mensch, der mutig notwendige Entscheidungen treffe, «selbst wenn diese nicht besonders populär sind».

"Land wird in Stücke gerissen"

Angesichts der dramatischen Lage seines Landes zeigt Siniora der Welt nun diese entschlossene Seite seines Charakters. Zwar hatte er zunächst zwei Tage ins Land streichen lassen, bevor er sich zu den israelischen Angriffen äußerte, doch inzwischen lässt er jede Zurückhaltung fahren. «Während ich mich an Sie richte, geht das tägliche Schlachten weiter. Das Land wird in Stücke gerissen», sagte Siniora am Mittwoch in Beirut in einer Standpauke vor den versammelten Botschaftern aller Herren Länder. «Ist ein Menschenleben im Libanon weniger wert als das in anderen Ländern? Ist es das, was die internationale Gemeinschaft unter Selbstverteidigung versteht, ist das der Preis, den wir für den Aufbau unserer demokratischen Institutionen zahlen?», fragte Siniora in die Runde.

Nach der Parlamentswahl vor einem Jahr seien die Menschen im Libanon voller Freude über ihr Leben in der neu gewonnenen Freiheit auf die Straße gelaufen. «Welches Leben bieten Sie uns heute? Ich werde Ihnen sagen, welches: Ein Leben der Zerstörung, der Verzweiflung und des Todes.» Nicht nur im Libanon tritt der einstige Gefolgsmann nun aus Hariris Schatten. (Von Henri Mamarbachi, AFP)

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