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Wer hat das Sagen in der FDP, der Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle (rechts) oder der Chef Philipp Rösler (links)?

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Führungsdebatte in der FDP: Brüderle könnte Rösler schon bald als Parteichef ablösen

Da kam dieser Jüngling daher, wurde FDP-Chef und nahm ihm das Wirtschaftsministerium weg. Rainer Brüderle mühte sich seither, seine Bitterkeit zu verbergen. Doch nun hat die Abrechnung begonnen. Und vielleicht auch der Anfang vom Karriereende des Philipp Rösler.

Von Antje Sirleschtov

Dass er nicht allzu viel von ihm hält, das zu ahnen ist nun wirklich nicht schwer. Rainer Brüderle war 66 Jahre alt und hatte den größten Teil des Lebens in der Politik gerackert, als sein Traum zerbrach. Seinetwegen. Nichts hatte sich Brüderle sehnlicher gewünscht, als die eigene Karriere zum Ende hin mit dem Amt des Bundeswirtschaftsministers zu krönen. Mit Mittelständlern durch die Welt fliegen, wichtige Reden halten und das ordnungspolitische Gewissen eines ganzen Landes verkörpern: Für Rainer Brüderle, 1945 im zerbombten Berlin geboren, vom kleinen Volkswirt in Mainz Stück für Stück bis ins Zentrum der Macht nach Berlin hochgearbeitet, war das Ministerbüro an der Berliner Invalidenstraße mehr als nur ein x-beliebiger Job in der Regierung. Er glaubte, ihn sich redlich verdient zu haben.

Und dann, im Mai 2011, kam der Jüngling daher, Mitte 30, und nahm ihm dieses Amt. Philipp Rösler wurde in jenem Mai FDP-Vorsitzender und wollte unbedingt Brüderles Ministerium dazu. So etwas vergisst einer nicht. Eineinhalb Jahre müht sich Brüderle seither, Bitterkeit und Missachtung zu verbergen. „Voll und ganz“ stütze er seinen Vorsitzenden Rösler, beteuert er, wann immer er gefragt wird. Eineinhalb Jahre Loyalität für die Kameras.

Jetzt sieht es zum ersten Mal nach Abrechnung aus. Vorige Woche hat Philipp Rösler in einem Interview seine Verhandlungsposition für den bevorstehenden Koalitionsgipfel mit der Union abgesteckt: Betreuungsgeld nur mit Bildungskomponente, und wenn anderswo im Bundeshaushalt gespart wird. Und die Praxisgebühr muss abgeschafft werden. Drei Tage später fuhr ihm Brüderle das erste Mal in die Parade. „Wir sind vertragstreu“, beteuerte der Fraktionsvorsitzende der FDP in Sachen Betreuungsgeld und erweckte damit den Eindruck, die Bedingungen des Parteichefs Rösler seien nebensächlich. Und dann noch einmal, keine 60 Stunden später, relativierte Brüderle auch noch die Forderung von Rösler nach der Abschaffung der Praxisgebühr. Man könne ja auch über eine Senkung der Beitragssätze der gesetzlich Krankenversicherten sprechen, sagte er.

Kein Wort hatte er vorher mit Rösler darüber gesprochen. Und den Vorsitzenden der FDP und Vizekanzler damit mächtig in die Bredouille gebracht. Was soll Rösler nun sagen, nächsten Sonntag im Kanzleramt, wenn die Unterhändler von CDU und CSU ihm gegenübersitzen und ihn fragen, wer denn nun eigentlich das Sagen in der FDP hat – er, Rösler, oder Brüderle?

Rösler - zerrieben zwischen großen Aufgaben

Wer hat das Sagen in der FDP, der Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle (links) oder der Chef Philipp Rösler?
Wer hat das Sagen in der FDP, der Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle (links) oder der Chef Philipp Rösler?

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Für Philipp Rösler ist das höchste Amt, das die große alte liberale Partei zu vergeben hat, schon nach wenigen Monaten zu einer Bürde geworden. Nicht, dass er sich im Frühjahr letzten Jahren danach gedrängt hatte, Guido Westerwelle an der Spitze der FDP abzulösen. Seine Partei brauchte dringend ein neues Gesicht an der Spitze, einen neuen Sound nach der Stakkatopolitik der letzten Jahre. Und Rösler, der mal ein Buch über das Soziale im Liberalismus geschrieben hatte und jedermann mit einem freundlichen Lächeln begegnete, schien die ideale Alternative zu Westerwelle zu sein. „Philipp, du machst das schon“, hatten ihm damals wichtige Liberale Mut gemacht, als er mit zittrigen Knien im Reichstag in das Blitzlichtgewitter der Kameras hinein verkündete, dass er nun FDP-Chef werden wolle. Und Vizekanzler. Und eben auch Bundeswirtschaftsminister, weil das ja beinahe schon traditionell von Liberalen geführt wird.

Und zunächst sah ja auch alles gut aus. Beim Parteitag hielt Philipp Rösler eine die Herzen der Delegierten erwärmende Rede, man sah ihn seine Frau küssen und mit den Kindern an der Hand durch die Halle gehen. So etwas gab es bei den sonst etwas unterkühlten Wirtschaftsparteileuten schon sehr lange nicht mehr, weshalb sich auch schon bald die Hoffnung darauf breitmachte, nun werde auch das Wahlvolk der FDP die harten Zeiten von Steuersenkung und Hartz-IV-Schelte verzeihen.

Doch schon bald kamen die Zweifel. Rösler hatte überhaupt keine Erfahrung im Führen einer Partei, er hatte kein Bundestagsmandat und war deshalb immer nur zu Gast in der Fraktion. Auch im Wirtschaftsministerium senkten sich bei den Beamten ziemlich schnell die Daumen. Man wusste nicht, was der neue Chef mit dem großen Ministerium vorhat, und sowieso schien er irgendwie abwesend, zerrieben zwischen seinen beiden großen Aufgaben als Minister und Parteivorsitzender. Als im letzten Herbst nur 1,8 Prozent der Berliner ihre Stimme bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus der Rösler-Partei gaben, munkelten die ersten besorgten Liberalen, der Rösler, der sei vielleicht doch nicht der Richtige an der Spitze der FDP.

Philipp Rösler weiß längst, was hinter seinem Rücken über ihn geredet wird. Und nicht nur hinter dem Rücken. Sein erster Generalsekretär Christian Lindner, redegewandt, intellektuell und so etwas wie ein Maskottchen der FDP, hat hingeschmissen. Wolfgang Kubicki aus Schleswig-Holstein lässt keine Gelegenheit aus, den Vorsitzenden wie einen dummen Jungen aussehen zu lassen. Und nun wird Rösler auch noch beim Dreikönigstreffen Anfang Januar von der Nummer eins auf dem Rednerpult zum Statisten degradiert.

Vergangenes Jahr langweilte er die Baden-Württemberger bei diesem wichtigsten Ereignis der Partei sichtlich mit einer neuen Programmidee, der „Geschichte vom schönen neuen Wachstum“, wie sie seither verspottet wird. Dieses Jahr will man sich das ersparen. Die Liberalen wollen zum Auftakt des Bundestagswahljahres Deftiges aus der Wahlkampfküche genießen. Und das garantiert nur noch einer in der Partei, nämlich Rainer. Brüderle und nicht etwa Röslers Generalsekretär, das haben die Stuttgarter gefordert, soll im Staatstheater neben dem FDP-Chef reden. Rösler blieb gar nichts anderes übrig, als öffentlich so zu tun, als wäre das seine Idee gewesen. Am vergangenen Montag hat er die Schmach verkündet. Lächelnd in die Kameras.

Brüderle - ein Kapitän in der Not?

Dass der Vorsitzende seiner Partei keine neue Kontur geben konnte, dass er europapolitisch zwischen Verantwortungsbewusstsein und Wir-zahlen-nicht-für-eure-Schulden-Populismus schwankt, das ist längst bekannt. Und auch, dass ihm Altvater Hans-Dietrich Genscher sein Wohlwollen entzogen hat. Seit Rösler Parteichef ist, dümpelt die FDP in den allwöchentlichen Wahlumfragen mal bei fünf Prozent, mal darunter herum. Und die Aussichten stehen schlecht. Mit Mühe, sagen die Demoskopen, kann das am 20. Januar in Röslers Heimatland Niedersachsen für den Einzug ins Landesparlament reichen. Doch was kommt dann? Soll Rösler die FDP in den Bundestagswahlkampf führen, ist das Risiko nicht zu hoch, im Herbst 2013 abgestraft zu werden und aus dem Bundestag zu fliegen? Das sind die Fragen, die sich die Wahlkampfstrategen in der FDP seit Wochen stellen.

Und da kommt der Name Brüderle wieder ins Spiel. Auch von ihm, dem in die Jahre gekommenen Pfälzer, erwartet kaum jemand eine Rundumerneuerung der Partei, eine strategische Neuausrichtung noch viel weniger. „Erst grübeln, dann dübeln“: Das ist Brüderle. Er war und ist einer, der mit Schmackes den politischen Gegner in die Pfanne hauen kann und bei Wein und Gesang die Sprache von Handwerkern und Gewerbetreibenden spricht. Kein Stern also am gelb-blauen Himmel.

Aber immerhin einer, der die alten Recken der Partei ein letztes Mal hinter sich versammeln und das FDP-Schiff nächstes Jahr über die Fünf-Prozent-Hürde hieven könnte. Ein Mann des Übergangs, ein Kapitän in der Not. Wenn es nur noch darum geht, heil den nächsten Hafen zu erreichen. Und darum geht es schließlich.

Der Fraktionsvorsitzende weiß, was da auf ihn zukommt. Auch wenn er Nachfragen dazu mit heftigem Kopfschütteln begegnet und lautstark beteuert, er „stützt“ Philipp Rösler, er „stürzt“ ihn nicht. Nur zu gut kennt Brüderle die Risiken einer solchen Operation ganz oben an der Spitze der Partei. So etwas bringt immer Unruhe und verunsichert die Anhänger an der Basis. Man muss das gut vorbereiten und einen Anlass haben.

Der nächste logische Termin wäre der Tag nach der Wahl in Niedersachsen. Wenn das Ergebnis der FDP unter fünf Prozent oder nur knapp darüber liegt, könnte Philipp Rösler zum Rückzug gedrängt und Rainer Brüderle gebeten werden, der Partei einen letzten großen Dienst zu erweisen, bevor er in Rente geht. Und mit Christian Lindner, dem Vorsitzenden des stärksten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, könnte die FDP auf eine Zukunft hoffen.

Für Philipp Rösler liefe das auf einen Abschied aus der Politik hinaus. Zu kurz steht er im Rampenlicht und zu enttäuschend würde seine Bilanz in den Augen der Liberalen ausfallen, als dass man ihn mit Posten oder Ehren belohnen würde. Guido Westerwelle, so verhasst er auch manchen in der Partei ist, glänzte zumindest als überzeugender Wahlkämpfer und hat 2009 seiner FDP ein Ergebnis beschert, das es zuvor noch nie gegeben hat. An Rösler hingegen klebt die Fünf-Prozent-Hürde. Und wer fühlte sich ihm schon zu Dank verpflichtet?

Das Ende eines Vorsitzenden in der FDP war nie eine kurzfristige Angelegenheit und folgte auch keinem Drehbuch. Zu unterschiedlich sind immer die Interessen der Beteiligten gewesen. Und auch diesmal sieht alles nach einem Bühnenstück mit vielen Überraschungen aus. Schon am nächsten Sonntag geht es los. Wird sich der FDP-Vorsitzende Rösler im Streit mit CDU und CSU um Betreuungsgeld und Praxisgebühr durchsetzen oder wird er mit leeren Händen dastehen? Daran werden ihn die eigenen Parteifreunde messen. Ihn ganz allein.

Und Brüderle? Er hat die besseren Karten. Sind die Liberalen zufrieden mit den Verhandlungserfolgen, dann wird es auch das Verdienst des Fraktionschefs sein. Und wenn nicht, dann steht Philipp Rösler alleine da.

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