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Fünf Jahre Irakkrieg: In Trümmern

Schlechte Versorgungslage, Fachkräftemangel, Millionen Flüchtlinge. Fünf Jahre nach dem Einmarsch der Amerikaner ist der Alltag der Iraker alles andere als Routine. Den nördlichen und südlichen Provinzen geht es besonders schlecht.

Berlin - Fünf Jahre nach dem Einmarsch amerikanischer und britischer Truppen leben viele Iraker unter katastrophalen Bedingungen. In großen Teilen des Landes funktioniere die öffentliche Versorgung mit Strom und Wasser nur schlecht oder gar nicht, heißt es in einem aktuellen Bericht der UN-Behörde für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Ocha). „Unter Saddam Hussein wurden die nördlichen und südlichen Provinzen stark vernachlässigt und haben daher neben den Städten Bagdad, Basra und Mossul die größten Defizite“, sagte David Shearer, Irakkoordinator von Ocha, dem Tagesspiegel. Ausschlaggebend sei die Sicherheitslage: „Je mehr Gewalt, desto schlechter die Verhältnisse“.

Eines der Hauptprobleme bleibt die Versorgung mit Trinkwasser. 60 Prozent der Iraker haben nach Angaben von Ocha keinen Zugang zu sauberem Wasser. Kaputte Anlagen werden nicht repariert, da es an Material und Ingenieuren fehlt. Sauberes Wasser ist teuer, Millionen Iraker versorgen sich daher mit Wasser aus verdreckten Flüssen und Brunnen. Dass vielerorts das Abwassersystem nicht funktioniert, verschärft das Problem. „Der Ausbruch der Choleraepidemie 2007 zeigt die katastrophalen hygienischen Zustände im Land“, sagt Hicham Hassan, Sprecher des Internationalen Roten Kreuzes im Irak. Er kennt den schwierigen Alltag aus eigener Erfahrung. Anschläge und Ausgangssperren erschweren den Besuch bei Freunden und Verwandten – jeder Gang vor die Tür werde so zur Belastung. Die Stromversorgung ist schlecht. „In Bagdad haben einige Viertel nur eine Stunde Strom am Tag.“

Auch die medizinische Versorgung hat sich nach Einschätzung von Ocha verschlechtert. Ein Drittel der Bevölkerung kann nicht betreut werden. Für diejenigen, die in die Krankenhäuser kommen, reichen oft die Medikamente nicht. Viele der medizinischen Einrichtungen sind mehr als 30 Jahre alt und in schlechtem Zustand. Momentan gibt es nach Angaben des Roten Kreuzes 30 000 Betten in öffentlichen Kliniken, benötigt würden rund 80 000. Das größte Problem ist jedoch der Mangel an qualifizierten Fachkräften. Nach offiziellen irakischen Angaben wurden seit 2003 mehr als 2200 Ärzte und Schwestern getötet. Von den 34 000 Ärzten, die 1990 im Irak registriert waren, haben 20 000 das Land verlassen.

Die Gewalt wirkt sich auch auf die Nachbarländer aus. Die Flüchtlingssituation in Syrien und Jordanien drohe „eine humanitäre Krise auszulösen“, sagt Malcolm Smart, Direktor von Amnesty International für den Nahen Osten. Die UN raten davon ab, in den Irak zurückzukehren – die Situation sei noch zu gefährlich. Jeder siebte Iraker ist auf der Flucht, täglich kommen neue hinzu. Allein in Syrien leben rund 1,5 Millionen Flüchtlinge. Die Nachbarländer sind dem Andrang nicht gewachsen. „Zwei Millionen Iraker belasten Infrastruktur, Arbeitsmärkte und Mietpreise“, sagt Dietrun Gunther, Mitarbeiterin des UN-Flüchtlingswerks (UNHCR) in Damaskus.

Im Oktober verschärfte Syrien die Einreisebestimmungen für Iraker, Jordanien schloss Anfang 2007 seine Grenzen, Saudi-Arabien lehnt eine Aufnahme ab – und errichtet stattdessen für sieben Millionen US-Dollar eine Mauer, um Flüchtlinge abzuhalten. In Syrien hat der Bevölkerungszuwachs von zehn Prozent die Gesundheits- und Bildungssysteme an die Grenze der Belastbarkeit gebracht. Steigende Preise für Mieten und Nahrungsmittel schüren Ressentiments unter den Einheimischen.

Eine Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation ergab, dass 45 Prozent der irakischen Flüchtlinge in Armut leben. Gut ausgebildete Ärzte, Lehrer oder Ingenieure verdingen sich als Kellner, heißt es in einer Studie des Hamburger Giga-Instituts. Kinderarbeit nehme zu, die Prostitution junger Irakerinnen floriere. Vor drei Jahren noch ein Tabu, findet Mädchenhandel heute überall statt, sagt Gunther. „Oft unter den Augen der Eltern.“ Nur jedes zehnte Kind besucht eine Schule, schätzt das UNHCR. Trotzdem seien die Klassen überfüllt, die Lehrer überfordert. Bei ihrem Syrienbesuch im August 2007 stellte Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) deshalb vier Millionen Euro für das Schulsystem zur Verfügung.

Die Flüchtlingsströme aus dem Irak lassen langsam nach, was die irakische Regierung als Zeichen für eine verbesserte Sicherheitslage sieht. Für April kündigte sie einen Konvoi an, bei dem jeder Rückkehrwillige 1000 US-Dollar bekommen soll. „Viele Iraker werden vor Trümmern stehen“, sagt Gunther. Eine erneute Flucht nach Syrien schließt sie nicht aus.

Tobias Fleischmann, Alexander Glodzinski

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