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Politik: „Für die Grünen geht es um die Existenz“

Im Wahlkampf ist die Partei zum Spagat gezwungen – zwischen Koalitionstreue und Eigenständigkeit

Von Hans Monath

Berlin - Claudia Roth war sichtlich verstört. Ausgerechnet in Gelsenkirchen, wo sich die Grünen vor wenigen Wochen mit Wirtschaftsbeschlüssen als Jobschaffer empfehlen wollten, erlebte die Parteichefin hautnah einen Ausbruch von Grünen-Hass. Ihren netten Taxifahrer, einen Sozialdemokraten dritter Generation, hatte die Politikerin drei Mal gedrängt, ihr den Grund für seine Stimmenthaltung bei der damals anstehenden Landtagswahl zu nennen. Dann schleuderte der ihr entgegen: „Wegen euch!“

Auch weniger prominente Grüne als Roth müssen in diesen Tagen damit rechnen, für das Scheitern von Rot-Grün und für viele andere politische Fehlentwicklungen haftbar gemacht zu werden. Seit Kanzler Gerhard Schröder ohne Rücksicht auf die Grünen Neuwahlen ausrief, stehen die Ökologen alleine da. Führende Sozialdemokraten rückten so schnell vom Partner ab, als ob der eine ansteckende Krankheit hätte. Die Koalitionsperspektive ist beschädigt. Im öffentlichen Meinungsklima waren die Grünen schon seit der Krise Joschka Fischers in der Visa-Affäre unter Druck geraten.

Für Befreiungsschläge gibt es wenig Spielraum. Nur unter Schmerzen beugt sich der kleine Partner dem Diktat des Kanzlers, das ihm selbst wenig Gutes verheißt. Angesichts der schnellen Ausrufung von CDU-Cefin Angela Merkel zur Kanzlerkandidatin beklagte ein Regierungsmitglied mit grünem Parteibuch denn auch: „Schröder hat Merkel doch den roten Teppich ausgerollt.“

Die wochenlange Debatte um die Vertrauensfrage zwingt nun zum Spagat zwischen der Treue zur SPD und dem Versuch, im Wahlkampf möglichst große Eigenständigkeit zu demonstrieren. Doch manche Grüne sehen wegen der Zuspitzung auf den Zweikampf zwischen Schröder und Merkel sogar den Wiedereinzug in den Bundestag gefährdet.

„Für die Grünen geht es im Herbst um eine ganz einfache Frage: um die Existenz“, sagt der Staatssekretär im Verbraucherministerium, Matthias Berninger voraus. „Wir dürfen auf keinen Fall die Fehler von 1990 wiederholen“, mahnt der Vorsitzende der hessischen Grünen mit Blick auf die Wahl vor 15 Jahren, vor der seine Partei den Ernst der Lage nicht erkannt habe. Nur die Sonderregeln der Vereinigungswahl für die ostdeutschen Abgeordenten von Bündnis 90 sicherten der Partei damals das Überleben im Bundestag. Anders als 1990 seien die Grünen heute nicht zerstritten und stellten das wichtigste Thema, nämlich den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, auch ins Zentrum ihrer Politik, sagt Berninger. Seine Diagnose, wonach es nun „um alles geht“, will der Politiker aber nicht als Entmutigung, sondern als Erfolgsrezept verstanden wissen: „Ich bin seit dem Wahlausgang 2002 von Wundern überzeugt und werde für den Erfolg kämpfen."

Zum Erfolg vor drei Jahren hatte entscheidend der starke Wahlkampfeinsatz von Joschka Fischer beigetragen. Entgegen der Beteuerungen der Parteispitze, wonach die Visa-Affäre ausgestanden sei und im Wahlkampf des Außenministers keine Belastung mehr bedeute, sehen auch Bundestagsabgeordnete nun ein Risiko darin, dass der Spitzenkandidat politisch angeschlagen ist. Auf Kritik an seiner herausgehobenen Stellung reagiert der Außenminister aber barsch und ungehalten. „Wenn die Partei findet, dass es andere machen sollen, dann ist das völlig in Ordnung. Dann beginnt für mich ein neuer Lebensabschnitt“, polterte Fischer Teilnehmern zufolge in der Fraktionssitzung am Dienstag.

Der Ausbruch war Reaktion auf die Forderung einzelner Abgeordneter nach einer weiblichen Spitzenkandidatin. Die aussichtsreichste Bewerberin um einen solchen Job, Verbraucherministerin Renate Künast, verteidigte Fischers Alleinstellung aber. Angeregt wurde in der Debatte auch ein Wahlkampfkurs mit aggressiver Haltung gegenüber der SPD. Davon wollte Fischer nichts wissen.

Wichtige Grüne machen sich inzwischen Mut mit der Erinnerung an die miese Ausgangslage vor der Bundestagswahl 2002, als die Umfragewerte Monate vor dem Stichtag bei vier Prozent lagen. Über Fischers Kampfeslust für den bevorstehenden Wahlkampf sagen Vertraute: „Er ist schon heftig motiviert.“

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