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Politik: Fürs Soziale nichts übrig

Das Steuerplus ist schon verteilt – nun sehen Koalitionspolitiker die Rüttgers-Initiative als erledigt an

Berlin - Vorsichtig und distanziert haben Spitzenpolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf den Vorstoß des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) reagiert, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I (ALG I) zu verlängern. „Es ist sinnvoll, dass zunächst in der CDU darüber diskutiert wird“, sagte Fraktionsvize Michael Meister dem „Tagesspiegel am Sonntag“. Der Finanzexperte sagte, es handle sich um eine Parteitagsdebatte im Vorfeld des neuen CDU-Grundsatzprogramms. Er sehe „keine direkten Auswirkungen auf die Debatten im deutschen Bundestag“. Die Koalitionsbeschlüsse zur Verwendung der Steuermehreinnahmen halte er für klug, weil sie zu einer Reduzierung der Neuverschuldung führten und die Rahmenbedingungen für den ersten Arbeitsmarkt verbesserten. „Ich sehe zunächst keine weiteren finanziellen Spielräume“, sagte Meister.

Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Peter Ramsauer, äußerte sich distanziert zum Rüttgers- Plan. Man müsse mit solchen Forderungen „ausgesprochen vorsichtig umgehen“, sagte er dem RBB-Inforadio. Ein ganz entscheidendes Problem sei, dass es für Rüttgers’ Forderung keinen finanziellen Spielraum gebe. Wer so etwas vorschlage, müsse sagen, „wem ich zusätzlich etwas abzwacke“. Eine längere Bezugsdauer für ältere Arbeitgeber müsse zulasten der Jüngeren gehen.

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Edmund Stoiber, der den Plan der CDU Nordrhein-Westfalens unterstützt, das ALG I nach 40 Beitragsjahren künftig 24 statt 18 Monate zu zahlen, kündigte dagegen an, dass die Union das Thema auf die Tagesordnung der Koalition setzen werde. Er reagierte damit auf ablehnende Äußerungen von Vizekanzler Franz Müntefering (SPD). „Dass hier die SPD, die sich ja die soziale Gerechtigkeit besonders zuschreibt, jede Diskussion verweigert, kann nicht das letzte Wort sein“, sagte Stoiber der „Welt am Sonntag“. Müntefering bekräftigte dagegen, mit der Koalitions-Einigung über die Verwendung der Steuermehreinnahmen sei die Forderung vom Tisch. „Rüttgers Idee, die Jungen mit 1,2 Milliarden Euro abzukassieren und es den Älteren zu geben, ist damit auch erledigt“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Über die unionsinterne Debatte über eine sozialere Ausrichtung ihrer Politik spottete der Vizekanzler: „Vor einem Jahr machte die Union jedenfalls noch voll auf Westerwelle – und wir mussten verhindern, dass sie aus dem Sozialstaat Kleinholz machen. Heute eifern einige in der Union wie Jürgen Rüttgers Gysi und Lafontaine nach.“

SPD-Chef Kurt Beck sagte der Union eine Zerreißprobe für ihren Parteitag voraus. Die CDU müsse sich entscheiden zwischen marktradikalen Positionen, der nüchternen, verantwortungsvollen Regierungspolitik und dem „Wiedererstehen Blümscher Positionen“.

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, der einen entsprechenden Antrag an den CDU-Parteitag mit Rüttgers abgestimmt hat, warnte die SPD wiederum vor neuerlichen Attacken auf die Union: „Wir lassen es nicht zu, dass die Sozialdemokraten glauben, uns Vorschriften und Vorhaltungen machen zu können“, sagte er vor dem Landesparteitag der CDU Mecklenburg-Vorpommern in Sternberg.

Der niedersächsische Ministerpräsident und CDU-Vize Christian Wulff sprach sich hingegen mit Blick auf Rüttgers’ Forderung nach einem stärkeren sozialen Profil der CDU gegen einen Kurswechsel aus. „Ich warne jeden davor, künstliche Gegensätze zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Vernunft auszubauen.“ Für ihn seien die Reformbeschlüsse des Leipziger Parteitags 2003 „nach wie vor richtig“. Über den Vorstoß von Rüttgers soll der CDU-Parteitag Ende November entscheiden.

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