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Viele Bauern erleiden durch die Sperrungen ihrer Höfe enorme Einbußen.

© dpa

Futtermittelskandal: Erhalten wegen Dioxin geschlossene Höfe Schadenersatz?

Rund 5000 Höfe bundesweit waren nach den Funden dioxinbelasteter Futtermittel geschlossen, noch immer können Hunderte Landwirte ihre Produkte nicht vermarkten.

Die dadurch entstandenen, teils wochenlangen Verdienstausfälle bedeuten für einige Bauern enorme Einbußen. Nicht nur sie fragen sich, wer für die entstandenen Verluste aufkommt. „Durch den Skandal ist die gesamte deutsche Landwirtschaft bestraft“, sagt Sonja Friedemann von der Rechtsabteilung des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands (WVL), der 48 000 Mitglieder vertritt. „Denn die Landwirte haben praktisch keine Versicherung gegen diesen Schaden.“ Zwar war im Zuge des BSE-Skandals eine Ertragsschadenversicherung eingerichtet worden, die greift aber nur bei Tierseuchen. So bleibt der Branche nur die Hoffnung auf Schadenersatz beziehungsweise Entschädigung.

Schadenersatz ist ein Begriff aus dem Privatrecht, er ist also relevant, wenn Unternehmen miteinander Verträge abschließen – oder wenn eine Firma eine andere betrügt. Entschädigung hingegen ist ein Begriff aus dem Öffentlichen Recht, sie würde also vom Staat gezahlt. Schadenersatz, die privatrechtliche Möglichkeit, wird die Verluste der Bauern kaum ausgleichen können. Sie stehen am Ende einer Kette von Verträgen: Fettproduzenten, Futtermittelhersteller und Bauern schließen miteinander Kaufverträge ab. „Ob daraus eine Pflicht auf Schadenersatz resultiert, hängt ganz vom einzelnen Vertrag ab“, sagt Alfred Hagen Meyer, Rechtsanwalt und Honorarprofessor an der TU München. Die Höhe eines möglichen Schadensersatzes könne darüber hinaus vertraglich begrenzt werden.

Anders sieht es aus, sobald Betrug ins Spiel kommt: Wer betrügt, begeht eine Straftat, und deshalb greift dann auch die so genannte deliktische Haftung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Sie ist prinzipiell unbegrenzt. Wenn also ein Unternehmen wissentlich mit Dioxin verunreinigte Ware verkauft, haftet es mit all seinem Vermögen. Ein Problem im aktuellen Fall könnte daraus resultieren, dass wenige betrügerische Akteure möglicherweise einen immensen Schaden verursacht haben, den sie aus ihrem Vermögen nicht ausgleichen können.

„Bei der Gesamtsumme der Schäden ist es nicht vorstellbar, dass alle Betroffenen entsprechenden Ausgleich erhalten“, sagt Bauernvertreterin Friedemann. Noch ist unklar, wer den Skandal tatsächlich verursacht hat. Zwar ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Futterfettfirma Harles & Jentzsch. Doch wie das Dioxion tatsächlich in die Nahrungskette gelangt ist und ob die Firma aus dem schlewsig-holsteinischen Uetersen als Schuldiger ausgemacht werden kann, steht nicht fest.

Dennoch wollen die Landwirte schnell in jedem Fall zivilrechtlich vorgehen, sagt Friedemann. Wie das genau passieren wird, ist von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Der ungünstigste – und offenbar häufigste – Fall könnte bei Bauern eintreten, deren Betrieb gesperrt wurde, bei denen aber keine erhöhten Werte festgestellt wurden. Denn auf Schadenersatz können nur Höfe hoffen, die dioxinvergiftetes Futter bezogen haben. Alle anderen bekämen für ihren unverschuldeten wochenlangem Verdienstausfall keinen Ausgleich. Kurz gesagt: Wer einwandfreies Futter bezogen hat, dessen Vertragspartner müssen für keinen Schaden haften.

Auch mit Entschädigungen, also mit Leistungen des Staats, können die betroffenen Bauern nicht rechnen. „Im Lebensmittelsicherheitsrecht ist das Vorsorgeprinzip verankert“, sagt Rechtsanwalt Meyer. Der Staat darf und muss Schaden vom Verbraucher abwenden – und darf deshalb auch vorsorglich aus Gründen des Gesundheitsschutzes Höfe sperren. „Der Staat muss zügig handeln, also zum Beispiel Proben schnell auswerten. In der Regel tut er dies, und dann können die Eigentümer gesperrter Höfe keine Entschädigung einklagen.“

Weder mit Schadenersatz noch mit Entschädigungen können die Bauern im Moment also planen. Außer den Verdienstausfällen der Landwirte sind aber sogar noch Kosten für Kontrollen und Laboruntersuchungen angefallen. 800 bis 1000 Euro kostet eine Probe auf Dioxin in Eiern oder Schweineschenkel. Einige Betriebe haben ihre Produkte freiwillig testen lassen, damit sie schnell wieder verkaufen können, und auch den Behörden, die mit Hochdruck nach Dioxin fahnden, sind beträchtliche Kosten entstanden. Deshalb fordern nun auch die Bundesländer Schadenersatz. „Wir werden den Verursacher für die Kosten unserer aufwändigen Kontrollaktionen voll in Regress nehmen“, sagt ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministeriums.

Diskutiert wird auch die Möglichkeit, einen Entschädigungsfonds aufzulegen. Das fordern vor allem Bauernvertreter. Das Verbraucherschutzministerium will abwarten: „Die Diskussion kommt zu früh“, sagt ein Sprecher. „Es muss erst juristisch klar sein, wer die Schuldigen sind.“ SPD und Grüne im Bundestag sind gegen Staatshilfen: „Man kann die Betriebe nicht alleine lassen, aber das ist Sache der Wirtschaft. Der Staat ist kein Reparaturbetrieb“, sagt Friedrich Ostendorff, Sprecher für Agrarpolitik der Grünen- Fraktion. „Vermutlich werden die Landwirte auf den Schäden sitzen bleiben“, meint Wilhelm Priesmeier, sein Kollege von der SPD-Fraktion. Der Staat könne bei Liquiditätsproblemen helfen – aber jeder Unternehmer habe ein Betriebsrisiko. Priesmeier: „Der Steuerzahler ist nicht verpflichtet, dieses Risiko abzusichern.“ Er fordert künftig eine verschuldensunabhängige Haftung der Futtermittelwirtschaft gegenüber Landwirten und Verbrauchern. „Sonst haben wir das Problem: Den Letzten beißen die Hunde.“

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