zum Hauptinhalt
Winke-Winke. Grüße der Staats- und Regierungschefs vom G-20-Gipfel in Seoul.

© dpa

G-20-Gipfel: Das Schwarzer-Peter-Spiel von Seoul

Der Streit über Wechselkurse und Exportpolitik dominiert den ersten G-20-Tag. Am Ende wird er vertagt, jeder darf sich als Sieger fühlen.

So hat sie die deutsche Nationalhymne wohl auch noch nie gehört. Angela Merkel steht auf der Bühne im großen Hörsaal der EWHA-Universität in Seoul, der größten Frauenhochschule der Welt. Sie trägt einen schwarzen Talar, in der rechten Hand hält sie eine Urkunde. Die Kanzlerin hat soeben die Ehrendoktorwürde dieser Universität erhalten, nun spielt das koreanische Musikensemble neben ihr auf der Bühne das Deutschlandlied. Sehr fremd hört sich das an. Es ist Donnerstagnachmittag, kurz nach 15 Uhr, und dies ist mit Sicherheit der angenehmste Teil von Merkels Reise nach Südkorea.

Gleich danach geht es für sie weiter, zehn Minuten braucht ihre Wagenkolonne bis zum Hotel Grand Hyatt, wo in einem kargen Besprechungsraum ihr schwierigster Gesprächspartner wartet: Barack Obama, der amerikanische Präsident.

Noch vor dem eigentlichen Beginn des G-20-Gipfels am Abend bitten die Amerikaner nacheinander drei Delegationen zu sich: Gastgeber Südkorea, dann China, dann Deutschland. Als Merkel den Raum betritt, schieben Obamas Helfer die großen Ständer mit den Flaggen beider Länder noch ein Stück näher zusammen. Gemeinsamkeit soll das symbolisieren. Doch die Atmosphäre ist distanziert. Merkel und Obama tauschen diplomatische Höflichkeiten aus. Mehr nicht. 40 Minuten sprechen die beiden im Beisein ihrer Delegationen, dann noch einmal zehn Minuten unter vier Augen.

Eigentlich sollte der G-20-Gipfel in Seoul, das Treffen der 20 wichtigsten Staats- und Regierungschefs der Welt, sich vor allem um die Regulierung der Finanzmärkte drehen. Einen Schlusspunkt setzen wollte man unter den Umbau des Finanzsystems, mit neuen Eigenkapitalvorschriften für Banken, einer stärkeren Kontrolle von Hedgefonds und mehr Mitsprache von Schwellenländern im Internationalen Währungsfonds. All das kommt jetzt auch – und wird doch überlagert vom Streit über Wechselkurse und die Ungleichgewichte im Welthandel. Und so entwickelt sich dieser von den Südkoreanern eigentlich so harmonisch geplante Gipfel zu einem Schwarzer-Peter-Spiel zwischen den USA, China und Deutschland. Es ist ein Lehrstück über politische Verhandlungstaktik – und über die mitunter eigenwillige Verhandlungsstrategie der Amerikaner.

Washington wirft Peking vor, den Yuan künstlich niedrig zu halten, um damit chinesische Exporte zu begünstigen. Mit diesem Wechselkursstreit verbunden ist auch der zweite große Disput: über die Ungleichgewichte im Welthandel. Von der Krise gebeutelte Volkswirtschaften wie die USA oder Spanien importieren deutlich mehr als sie exportieren, ihre Leistungsbilanz liegt deutlich im Minus. Länder wie China, Deutschland oder auch Japan verzeichnen dagegen Überschüsse. Auflösen lässt sich das nur, wenn die Amerikaner mehr sparen und die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Industrie stärken – und Deutsche oder Chinesen mehr für den Konsum im eigenen Land tun.

Am Ende steht der Minimalkonsens

Es gehört zur Verhandlungstaktik der USA, zunächst in bilateralen Gesprächen Druck aufzubauen. Das aber klappt im Falle Chinas nicht. Schon in den Wochen vor dem Gipfeltreffen ist klar, dass sich die Chinesen nicht in den Wechselkurs des Yuan hineinreden lassen wollen. Der zweite Verhandlungsschritt der Amerikaner sieht daher so aus: Sich möglichst viele Partner suchen, um das betreffende Land zu isolieren. Das versuchte Timothy Geithner vor wenigen Wochen auf dem Treffen der G-20-Finanzminister: Die USA warben dafür, Handelsbilanzüberschüsse und -defizite auf einen festgelegten Wert zu begrenzen. Der Vorstoß richtete sich gegen China, aber auch gegen Deutschland und Japan, die dadurch gezwungen werden sollten, ihre Exportüberschüsse abzubauen.

Auch diese Idee scheiterte, weil vor allem die Deutschen eine Abwehrfront organisierten. Kanzleramt und Finanzministerium schmiedeten ein Bündnis mit Brasilien und Indien, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble kontaktierte seine französische Amtskollegin Christine Lagarde. Frankreichs Stimme zählt auch deswegen, weil Paris im kommenden Jahr den Vorsitz der G 20 übernehmen wird. Auf einmal waren die USA isoliert. Und Geithner zog seinen Vorschlag zurück. Obama persönlich versuchte daher am ersten Tag des Gipfels, die Stimmung noch zugunsten der Amerikaner zu drehen.

An diesem Freitag nun werden die Staaten ein gemeinsames Kommuniqué präsentieren, mit dem sich jeder ein Stück weit als Sieger fühlen darf. Außenwirtschaft ist eben immer auch ein Stück Innenpolitik.

Die Deutschen pochen darauf, dass es ihnen gelungen sei, in Seoul konkrete Überschussziele abzuwehren – auch wenn das schon vor dem Gipfel im Grunde kein Thema mehr war. Merkels Position im Gespräch mit Obama: Man dürfe die deutschen Exportüberschüsse nicht isoliert betrachten, sondern müsse vielmehr die Europäische Union  als Ganzes sehen. Die EU aber habe keine Handelsüberschüsse gegenüber Amerika. Die USA wiederum können sich zugute halten, dass Industrieländer mit Überschüssen ihre Exportorientierung künftig reduzieren müssen – wie genau, darüber werden die Finanzminister in den kommenden Monaten noch beraten müssen. Die Chinesen können sagen, dass sie keine konkreten Wechselkursziele verabreden mussten. Gleichzeitig sind sie den anderen Staaten ein klein wenig entgegengekommen, indem sie den Yuan in den Tagen vor Seoul gleich zweimal leicht aufwerteten.

Es ist ein Minimalkonsens, um den lange gefeilscht wurde. Die ganze Nacht von Donnerstag auf Freitag verhandeln die Sherpas der Finanzminister, für Deutschland ist das Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen. Während sich die Deutschen nach außen hin optimistisch geben, geht es hinter den Kulissen noch zur Sache. Aus Kreisen der deutschen Delegation heißt es, man wolle sich künftig mit den USA bereits im Vorfeld enger abstimmen, um Irritationen und Streit zu vermeiden. "Da ist in den letzten Tagen nicht alles optimal gelaufen", heißt es.

Die Währungsfrage jedenfalls wollen sich die G 20 bei ihrem nächsten Treffen erneut vornehmen. Dann soll es eine Arbeitsgruppe zum Thema Weltwährung geben – unter der Federführung von Deutschen und Franzosen.

Marc Brost

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false