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Die Protagonisten aus Sicht der Aktivisten.

© REUTERS

G-7-Gipfel: Was bringt das Treffen in Elmau?

Die öffentliche Meinung steht schon vorher fest: Gipfel wie der diesjährige in Elmau lohnen nicht. Zu teuer, zu wenige Ergebnisse, zu irrelevant. Doch schaut man genauer hin, sieht man den Wert solch einer Veranstaltung.

Von Robert Birnbaum

Fast alles kann die Wissenschaft in Zahlen fassen, warum nicht auch Erfolg von Gipfeltreffen? Für den Heiligendamm-Gipfel der G 8 im Jahr 2007 lautet die magische Zahl 0,51. Sie stammt von Forschern der Universität Toronto, wo sich ein kleines Team die Runden der Großen zur Lebensaufgabe gemacht hat. Seit 1987 beobachten die Wissenschaftler die Gipfel der Weltpolitik, erheben Statistiken und zählen nach, was von den guten Vorsätzen in den Abschlussdokumenten bleibt.
Die 0,51 beschreiben die Gesamtbilanz für Angela Merkels erste G-8-Präsidentschaft. Das ist nicht rekordverdächtig, liegt aber klar auf der positiven Seite zwischen den theoretischen Extremen -1 (komplett gescheitert) und 1 (alles erfüllt). Nutzlos war das Strandkorb- Spektakel an der Ostsee also nicht. „In der öffentlichen Meinung herrscht nach solchen Gipfeln der Tenor vor: Das bringt sowieso nichts“, sagt Ella Kokotsis, Direktorin bei der kanadischen G-7-Forschungsgruppe. „Die Statistik stützt diese Sichtweise nicht.“

Seit Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing 1975 zum ersten Mal führende westliche Staatsmänner ins Schloss Rambouillet einluden, sind nicht nur die Gipfel immer größer geworden, sondern auch die Kritik an ihnen. Was als „Kamingespräch“ zu sechst in der Sommerresidenz des französischen Präsidenten begann, ist heute ein vielmillionenteures Polit-Wandertheater. Einmal im Jahr verwandelt es eine stille Ferienregion in eine Festung mit umliegenden Heerlagern, kriegsähnliche Zustände nicht ausgeschlossen.

Da hat sich gerade in den vergangenen Jahren einiges aufgeschaukelt. Noch 1999 konnten die G 8 mitten in Köln tagen; zur Gegendemo kamen ein paar Tausend. Doch die Profis des Protests wissen längst, welche Chance ihnen die Treffen bieten. Vom versprengten Maoisten bis zum Umweltschutz-Konzern nutzt jeder die Gelegenheit und den Bilderhunger der TV-Stationen für seine eigenen Anliegen. Ohne G-7-Gipfel kein „Stop G 7“-Gegengipfel – die Staatsgäste hinter dem Sperrzaun und die Demonstranten davor inszenieren sich auf der gleichen öffentlichen Bühne.

Aber nicht nur der immense Aufwand nährt jedes Mal Zweifel am Sinn der Veranstaltung. Auch politisch steht sie unter Rechtfertigungsdruck. Das immerhin ist nicht neu. Kaum dass der Sechser-Kreis von Rambouillet durch Kanada zur G 7 aufgestockt und zur Institution geworden war, fragten Kritiker nach der Legitimation. Mit welchem Recht ernannte sich ein Club von Staatsmännern zu Großen Sieben, ja zum „Weltwirtschaftsgipfel“?

Heute muss sich die Runde gegen den entgegengesetzten Verdacht behaupten – den der Irrelevanz. Die Globalisierung schreitet fort, große Schwellenländer drohen die alten Vormächte zu überholen, seit dem Überfall auf die Krim ist Wladimir Putins Russland wieder ausgeschlossen. Die Rolle der Weltwirtschaftsregulierung hat die G 20 übernommen, eine G-8-Ausgründung, in der die Schwellenstaaten Asiens und Lateinamerikas mitreden. Was also soll der auf den Kern zurückgeschrumpfte Club des alten Westens noch?

„Vielleicht“, sagt einer, der viele Jahre lang das Gipfeltheater von innen mitbetrieben hat, „brauchen wir die G 7 gerade jetzt.“ Diese Sicht der Dinge lässt sich am einfachsten verstehen, wenn man noch einmal auf die Anfänge schaut. Das Treffen von Rambouillet erscheint oft als freundliches Idyll – Staatenlenker im Staatsschloss, die frei vom Tageszwang über die Weltlage sinnieren. Alte Fotos zeigen eine joviale Tischrunde, im Hintergrund eine Fernsehkamera. Manchmal befällt da sogar heutige Gipfelmacher die Sehnsucht. „Man müsste viel mehr Zeit zur freien Diskussion einplanen“, sagt einer. Immer wieder gab es Versuche, die Agenda der Chefs von Ballast zu befreien. Der Erfolg ist überschaubar.

Die Diskussionen sind hart

Doch das Idyll auf den alten Fotos täuscht. Die internen Unterlagen der frühen Gipfel, die heute in Archiven zugänglich sind, zeichnen ein anderes, härteres Bild. Was der deutsche Kanzler mit den Kollegen in Washington, London, Rom, Paris und Tokio betrieb, war kein Philosophenseminar. Die Runde sollte die Spielregeln der Weltwirtschafts- und -finanzordnung prägen und ihre Volkswirtschaften durch abgestimmtes Vorgehen gegen Krisen wie den Ölpreis-Schock von 1973 härten. Würde das nicht gelingen, mahnte Schmidt in einem Memorandum an die anderen, drohe die öffentliche Meinung zu kippen.

Die einsame Kamera in Rambouillet war mithin schon genauso wichtig wie die Batterie der TV-Sender, die heute um einen Platz beim rituellen Gruppenfoto rangeln. So wie Wirtschaft viel von Psychologie lebt, braucht Politik Symbolik. Ein Bild von vertraut plaudernden Regierungschefs verändert nicht die Welt zum Besseren. Aber es demonstriert Zusammenhalt und Lösungswillen. Und manchmal führt das Plaudern ja wirklich weiter.

Wer das etwas genauer wissen will, findet Anhaltspunkte in den Zahlenwerken von Kokotsis und ihren Kollegen. Die Forscher destillieren aus den Kommuniqués der Gipfel die Selbstverpflichtungen und prüfen nach, was von den vielen „wir kamen überein“ und „wir werden noch mehr tun“ in praktische Politik mündet. Heiligendamm 2007 erweist sich als Gipfelpunkt des guten Willens mit 329 Absichtserklärungen. Im Dokument von Rambouillet waren es 14. Auf der „Mission erfüllt“-Skala lag das erste Treffen aber nicht viel besser – die magische Zahl dort war 0,58. In Prozent ausgedrückt heißt das ungefähr zwei Drittel „Versprochen – gehalten“.

In den vergangenen Jahren lag die Quote meist höher, bei rund 75 Prozent. Ob die sieben sich die Latte nicht mehr so hoch legen wie früher oder die bessere Bilanz der schärferen öffentlichen Beobachtung geschuldet ist, ist nicht ganz klar. Als Reaktion auf Kritik hat die Gruppe jedenfalls 2009 eine Selbstkontrolle eingeführt. Seither legt sie selbst Rechenschaftsberichte vor. Der vorerst letzte von 2012 listet auf 175 Seiten Fortschritte auf, nennt aber auch Probleme. Die größten Versäumnisse vermerkten die Verfasser beim versprochenen Kampf gegen das Artensterben: „Nicht ausreichend“, lautete das Urteil.

Auf die Gipfel-Kritiker hat die Transparenzoffensive bisher wenig Eindruck gemacht. Da werde ja bloß verglichen, was sich die Runde selbst vornehme, also immer zu wenig gemessen an den Problemen der Menschheit. Der Einwand ist nicht ganz von der Hand zu weisen, benennt er doch eine methodische Schwäche des Kontrollsystems. Trotzdem verkennt er Grundlegendes: In der Politik – wie überhaupt im Leben – beginnt Veränderung mit gutem Vorsatz. In diesem Sinne, sagt die Wissenschaftlerin Kokotsis, haben die G7 immer wieder Vorreiterrollen übernommen. Das Klimaproblem etwa taucht bereits in der Erklärung von Tokio 1979 auf, zum ersten Mal überhaupt auf derart hoher politischer Ebene. Nun ist das Exempel zweischneidig. Drei Jahrzehnte später steht der drohende Klimakollaps immer noch auf der Agenda der ungelösten Fragen. Aber wahrscheinlich gilt das für die meisten Probleme, auf die sich die 4126 Selbstverpflichtungen der bisherigen Gipfel-Geschichte beziehen. Politik ist ein zäher Prozess. Diplomaten wissen, weshalb sie das Wort „Durchbruch“ fürchten: Hinter dem Durchbruch lauert meist die nächste Mauer.

Im Geiste vereint

Der Traum einer technokratisch auf Wachstumskurs steuerbaren Weltwirtschaft, der durch die Dokumente der Rambouillet-Zeit geistert, ging ja auch nicht in Erfüllung. Andererseits – als nach der Lehman-Pleite das Weltfinanzsystem zu implodieren drohte, waren die Finanzminister der G 7 die Ersten, die miteinander telefonierten. Man kannte sich. Wer G 7 auf die Gipfel beschränke, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin Katharina Gnath, verkenne den Netzwerk-Charakter der Gruppe. Gnath findet deshalb das Symbol des Elmau-Treffens treffend. Auf den ersten Blick stilisiert es die Berge hinter dem Alpenschloss. Aber es lasse sich zugleich als Sinnbild der G7 lesen: unter der Spitze eine breite Basis. Der Gipfelsturm ist nur spektakulärer Höhepunkt einer ständigen Zusammenarbeit, die sich bis in kleine Verästelungen erstreckt.

Die eigentliche Frage beantwortet das allerdings nicht: Warum G 7 und warum Gipfel? Claudia Schmucker ist Spezialistin für Weltwirtschaft bei der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik (DGAP). Sie hat eine schlichte Antwort: „Die G7 wollen sich weiter treffen.“ Tatsächlich hat der Kreis über seine Zukunft nachgedacht, als er nach der Finanzkrise der G 20 das Wirtschaftssteuer in die Hand drückte. Doch das alte Format, wie so etwas in der Diplomatensprache heißt, hat sich einfach bewährt. Es ist ja auch gar nicht weit vom Mythos von Rambouillet entfernt. Ein Frühstück zu dritt, mehrere Stunden um einen Tisch sind viel Zeit für Spitzenpolitiker, deren Kalender sonst im Viertelstundentakt tickt. „Da wird nicht vom Zettel abgelesen“, sagt einer, der oft dabei war, „das ist eine offene Gesprächsrunde, anders als bei G 20.“ Neuerdings kommt auch ein zweiter Grundgedanke der Gründungsväter wieder verstärkt ins Spiel: Wer die Welt prägen will, muss sich mit denen zusammentun, die seines Geistes sind. Das Stichwort heißt „Wertegemeinschaft“. Es wird in der Abschlusserklärung von Elmau stehen. Darin steckt Anspruch und zugleich ein Eingeständnis: Die „Großen Sieben“ waren nie Weltregierung – heute sind sie es nicht mal mehr heimlich. Ökonomisch sind sie unter Druck, dazu ideologisch. Putins Russland und Chinas gelenkter Kapitalismus stehen für neue Formen der Systemkonkurrenz; Schwellenländer und Rohstoff-Imperien gehen wieder eigene Wege.

Noch prägt die Ideenwelt des aufgeklärten Europa die internationalen Spielregeln. Aber Angela Merkel, Barack Obama oder der Japaner Shinzo Abe erleben vor ihren Haustüren, dass das kein Naturgesetz ist. Dass sich die Vertreter der alten, freiheitlichen Weltordnung als geschlossene Gruppe zu Wort melden, wird allmählich zum Wert an sich. In Zahlen messen kann den niemand. Dafür lässt sich leicht nachrechnen, was er kostet. An populären Sparvorschlägen herrscht kein Mangel. Warum nicht den Gipfel ins Regierungsschlösschen Meseberg verlegen? Nur freilich, man müsste das verschlafene Dorf nebenan evakuieren. Ein Pressezentrum auf brandenburgische Äcker pflanzen. Zäune ziehen mit tausenden Polizisten davor. Kurz – ein Elmau im Norden. DGAP-Forscherin Schmucker ist ohnehin sicher, dass selbst ein Gipfel auf einem Flugzeugträger nichts an der Kritik ändern würde. Wem G 7 nicht passt, der findet flexible Gründe: „Dann wäre das eben die ,geheime Geheimregierung’!“

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