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G-8-Proteste: Streit um Deutungshoheit hat begonnen

Setzt die Polizei gezielt Zivilbeamte ein, die die Protestler zu aggressivem Verhalten anstacheln? Wird die Zahl der Verletzten manipuliert? Olaf Jahn zur Wahrheit rund um Heiligendamm.

Während sich die G8-Teilnehmer in Heiligendamm hinter verschlossenen Türen treffen, tobt draußen vor dem Sperrzaun ein verbissener Kampf. Sicherheitsbehörden und Demonstranten liefern sich nicht nur ein Katz-und-Maus-Spiel, sondern ringen auch um die Deutungshoheit über das Geschehen bei den Protesten. Geht die Polizei zu brutal vor oder setzt sie gar "Agents Provocateurs" ein? Stand ein Sabotageakt unmittelbar bevor? Werden Zahlen von Verletzten manipuliert? Schwaden von Behauptungen und Gerüchten umziehen den Gipfel. Die Wahrheit ist nicht klar auszumachen. Manchmal allerdings scheinen Details eine deutliche Sprache zu sprechen.

Als Demonstranten vermummte Polizisten hätten versucht, andere Teilnehmer während der Blockadeaktionen in Heiligendamm zu aggressivem Verhalten aufzustacheln. Diesen Vorwurf erhebt der Anwaltliche Notdienst, der Demonstranten rechtlichen Beistand leistet. Am Mittwoch sei eine Gruppe von vier, fünf schwarz gekleideten Männern aufgefallen, die sich gegenüber der Polizei sehr aggressiv verhalten hätten. Demonstranten aus Bremen hätten in einem der Männer einen Zivilfahnder erkannt.

"Mit solchen Mitteln arbeiten wir nicht"

Setzen die Sicherheitsbehörden "Agents Provocateurs" ein? Bei der Polizei weist ein Sprecher Manfred Lütjann solche Vorwürfe strikt zurück: "Mit solchen Mitteln arbeiten wir nicht. Ein Aufheizen der Stimmung ist nicht das Ziel der Polizei." Die Demonstranten dagegen bleiben dabei: "Der Mann ist von einigen Teilnehmern klar identifiziert worden. Er wollte uns weder etwas über seine Herkunft noch zu seinen Personalien sagen", sagte Augenzeuge Henning Obens. Der Mann sei zur Polizeikette gebracht und dort Beamten übergeben worden. Die hätten ihn "wie selbstverständlich" aufgenommen.

Obens selbst kannte den Mann nicht, aber die Umstände stützten die Identifikation durch die Bremer Demonstranten. Der Verdächtigte habe sich auch deshalb verraten, weil er die Umstehenden mit "Sie" angesprochen habe. Obens: "Da muss die Polizei ihre Handbücher wohl mal aktualisieren. Bei uns duzt man sich. Wer das nicht weiß, gehört nicht dazu." Außerdem habe der Mann auffallend saubere Kleidung von der Stange getragen.

Tränengas beigemischt?

Brisant ist auch ein Vorwurf, den die zum Lager der G8-Kritiker gehörende Pressegruppe Campinski erhebt. Danach habe die Polizei bei ihrem Vorgehen gegen Demonstranten am vergangenen Samstag Wasserwerfer eingesetzt, deren Ladung Tränengas beigemischt gewesen sei. Dies hatten auch Presse-Fotografen vor Ort berichtet. Unter den G8-Kritikern kursieren Berichte, dass auch am Mittwoch wieder entsprechende Wasserwerfer im Einsatz waren. Bei der Polizei heißt es dazu, eine "Beimischung von Reizgas" gebe es nicht. Allerdings schränkt Lütjann ein: "Ob am Samstag Tränengas über Wasserwerfer eingesetzt wurde, kann ich nicht sagen."

Ein angeblicher Durchbruch von G8-Kritikern durch den Sicherheitszaun in Heiligendamm entpuppte sich am Mittwoch schnell als Gerücht. Tatsächlich war eine Art Wildzaun dem Ansturm von Demonstranten zum Opfer gefallen. Unklar war dagegen lange Zeit, wie viele Polizisten bei Angriffen des so genannten Schwarzen Blocks am Samstag wirklich verletzt worden waren. Die Polizei hatte von 433 Verletzten Beamten gesprochen, 30 von ihnen seien sogar schwer verletzt worden. Organisatoren der Proteste hatten die Zahlen sofort bezweifelt. Ein G-8-Kritiker bezeichnete sie als "offenbar gezielte Desinformation". Er verweist auf Meldungen, wonach nur zwei Beamte stationär behandelt worden seien.

Wer ist schwer verletzt?

Ein Grund für die widersprüchlichen Einschätzungen ist laut Spiegel-Online, dass der Begriff "schwer verletzt" unterschiedlich definiert werde. Nach Unfällen gelte als schwerverletzt, wer mindestens eine Nacht im Krankenhaus zugebracht habe. Bei den Demonstrationen dagegen sei dieses Verfahren nicht angewandt worden. Ärzte und Sanitäter dort hätten sich vorher nicht auf einheitliche Kriterien geeinigt. Bayern und Berlin etwa hätten auch dienstunfähig geschriebene Beamte (beispielsweise nach Finger- oder Handgelenksbrüchen) als schwer verletzt eingestuft.

Als glatte "Ente" bezeichnet Polizeisprecher Lütjann den Aufmacher "Bild": "Terror-Alarm beim Gipfel" heißt es da, Polizeitaucher hätten im Unterwasser-Sicherungsnetz bei Heiligendamm "zwei größere Löcher" entdeckt. Später allerdings ist schwammiger von einem mutmaßlichen Sabotageakt die Rede, ungenannte Sicherheitsexperten hielten es für "wahrscheinlich", dass Taucher das Netz manipuliert hätten. Dazu Lütjann: "Das Netz ist und war dicht. Es gab kein Sicherheitsdefizit." (Von Olaf Jahn, ddp)

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