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Recht haben, Recht bekommen. Gabriele Pauli streitet vor dem Oberlandesgericht München gegen Verunglimpfung durch Medien.

© picture alliance / dpa

Gabriele Pauli nimmt Abschied aus der Politik: Als Tabubrecherin geschätzt, als Hexe beschimpft

Seit sie 2007 am Sturz von Edmund Stoiber als CSU-Chef mitwirkte, gilt Gabriele Pauli als Prototyp der Parteirebellen. Und so wie ihr Erfolg typisch war, ging es danach auch typischerweise weiter.

Von Barbara Nolte

Ein Pförtner stellt sich der Verabredung mit Gabriele Pauli in den Weg. Das Restaurant im Bayerischen Landtag, sagt er, das Pauli für ein Mittagessen vorgeschlagen hatte, sei geschlossen. Parlamentsferien. Das habe die Abgeordnete Pauli sicher vergessen. Ein Büro, in dem sie stattdessen anzutreffen sei, habe sie hier im Landtag nicht. Auch keine Sekretärin, die einen neuen Treffpunkt mit ihr ausmachen könnte.

Der Pförtner dreht sich um. Pauli steht hinter ihm. Geblümtes Kleid, Sonnenbrille. Über ihrem Arm hängt eine lilafarbene Aktentasche. Sie winkt die Besucher herbei zu einer Führung durch das Bayerische Landesparlament, in das sie vor fünf Jahren für die „Freien Wähler“ eingezogen ist und das sie mit der neuen Legislaturperiode verlassen muss. In Bayern wird am 15. September gewählt. Die „Freien Wähler“ und Pauli haben sich überworfen. Sie hatte eine eigene Partei gegründet: die „Freie Union“, aus der sie wieder ausgetreten ist. Als Parteilose kann sie nicht mehr antreten bei der Wahl. Sie wolle künftig Tee anbauen, sagt sie, rausziehen aus der Stadt, zumindest pendeln. Ein altes Haus renovieren. „Die Grundfarben habe ich schon im Kopf: Weiß und Lavendel.“

Gabriele Pauli spricht mit leiser, dunkler Stimme. Sie lacht viel, blickt dabei zu Boden, nicht weil sie, wie anzunehmen wäre, einen Gang durch den Landtag als Spießrutenlauf empfindet. Sie will bloß die Absätze ihrer Pumps nicht ramponieren auf dem holprigen Hof. Nur selten, sagt Pauli, treffe sie im Landtag auf die Kollegen, die damals so unfassbar grob zu ihr gewesen seien. Der ehemalige Ministerpräsident und ebenfalls scheidende Abgeordnete Günther Beckstein hat über sie als von einem „Fall für den Psychiater“ gesprochen. Der bayerische Finanzminister Markus Söder hat sie als „Tatjana Gsell der CSU“ bezeichnet; Gsell, ein Nürnberger Erotik-Model, saß einmal in Untersuchungshaft – wegen Anstiftung zu einem Raub, bei dem ihr Mann umgebracht wurde.

Pauli war die treibende Kraft, die Edmund Stoiber ums Amt brachte. 2007 war das. Stoiber, auf den zwei Jahre davor nach Angela Merkels Wahlsieg bereits in Berlin ein Ministerium zugeschnitten war, war überraschenderweise in Bayern geblieben, doch dort sackten seine Beliebtheitswerte ab. Unter anderem sorgte für Ärger, dass er die Gymnasialzeit um ein Jahr verkürzte, ohne den Stoff zu reduzieren. Gabriele Pauli kritisierte damals Stoibers Amtsführung beharrlich. Doch geputscht haben andere.

Angeblich haben die damaligen bayerischen Innen- und Wirtschaftsminister Günther Beckstein und Erwin Huber auf der Klausurtagung im Januar 2007 in Wildbad Kreuth Stoibers Ämter unter sich aufgeteilt und tags drauf Stoiber vor vollendete Tatsachen gestellt. Die nächste Landtagswahl, die sie 2008 als Ministerpräsident beziehungsweise Parteichef bestritten, verloren sie krachend. Bis heute hat sich die CSU nicht erholt. Becksteins Nachfolger Horst Seehofer liegt in aktuellen Umfragen deutlich unter 50 Prozent.

„Ich nehme schon an, dass ich einen Anteil am Sturz von Stoiber hatte. Aber in seinen Memoiren kommt mein Name gar nicht vor“, sagt Pauli und lacht. Jedenfalls hat sich damals das Etikett Parteirebellin an ihren Namen geheftet hat. Pauli gefällt das.

Wolfgang Kubicki von der FDP, Wolfgang Clement von der SPD, Oswald Metzger, der von der SPD zu den Grünen und schließlich zur CDU wechselte. So lauten einige Namen derjenigen, die als Parteirebellen gelten. Auch Siegfried Kauder wird dazugezählt. Er ist der Bruder des Unionsfraktionschefs Volker Kauder und will bei der Bundestagswahl als Einzelkandidat antreten. Meist sind es Männer, die aus der Linie ihrer Partei ausscheren, Tabus ansprechen und mitunter ihre Partei dadurch sogar erneuern.

Matthias Micus vom Göttinger Institut für Demokratieforschung hält Gabriele Pauli für den Inbegriff dieses Politikertypus. Sie habe die Rolle der Tabubrecherin sogar bildlich bedient, als sie sich einmal für die 2009 eingestellte Zeitschrift „Park Avenue“ mit Perücke und Latexhandschuhen fotografieren ließ. Micus hat in einem Buch Politiker typologisiert. „Von Beruf Politiker: Bestandsaufnahme eines ungeliebten Standes“, heißt es. „In Zeiten des Verdrusses über den weichgespülten Durchschnittspolitiker wird der Parteirebell von den Medien gefeiert, weil er seinen eigenen Kopf hat“, sagt er. Die Pose habe sich in den vergangenen Jahren als „erfolgreich“ erwiesen, um damit einen raschen politischen Aufstieg zu erleben.

Gabriele Pauli steuert jetzt im neogotischen Landtagsgebäude auf einen Aufzug zu. Sie sagt, dass die CSU-Funktionäre ihre Kritik an Stoibers Amtsführung abgeblockt hätten. Doch sie hat sich damals nicht beirren lassen. Die Medien fingen an, sich für ihre Ansichten zu interessieren. Und die Bayerische Staatskanzlei interessierte sich für ihr Privatleben. Stoibers Bürochef erkundigte sich bei einem CSU-Politiker aus Franken nach „Männergeschichten“. Pauli sprach Stoiber im Parteivorstand darauf an. Der Vorfall wurde öffentlich. Die Schnüffelei setzte Stoiber endgültig ins Unrecht und stellte die unerschrockene Landrätin in den Mittelpunkt eines Medienaufruhrs. Theo Waigel habe sie später gelobt, sagt Pauli. „Anfangs hast du alles richtig gemacht“, habe Waigel gesagt, „später alles falsch.“

Sich als Parteirebell zu profilieren, ist gefährlich. „Dem Prinzip des Tabubruchs wohnt inne, dass die Tabubrüche ständig gesteigert werden müssen“, erklärt der Politologe Micus. „Das führt leicht dazu, dass sich Parteirebellen lächerlich machen oder Positionen vertreten, die für die Demokratie problematisch sind.“ Als Beispiel nennt er den FDP-Politiker Jürgen Möllemann, der zuletzt mit antisemitischen Ressentiments spielte.

„Ich habe niemandem etwas Unfaires angetan“, sagt Pauli, die den langen Gang zum Plenarsaal entlangläuft. Kabel hängen von den Decken, Wände sind aufgerissen. Der Landtag ist in diesen Wochen fest in der Hand von Handwerkern, so wie er früher fest in der Hand der CSU war. Pauli rüttelt an den schweren Holztüren. Manche gehen auf, andere bleiben verschlossen. Die Stimmung ist ein bisschen so, wie wenn Jugendliche in ein leer stehendes Haus einsteigen.

Gabriele Pauli: "Alles war superperfekt. Auf einmal wagt man es, mich so niederzumachen."

„Von Haus aus“, sagt sie, sei sie keine Rebellin. Auf dem Mädchengymnasium, das sie besuchte, habe sie so „brav gelernt“ wie alle anderen. Mit 19 ist sie in ihrer Heimatstadt Zirndorf in die CSU eingetreten, mit 32 wurde sie im traditionellen SPD-Landkreis Fürth zur jüngsten Landrätin Deutschlands gewählt. Auch in dem Amt habe sie „immer alles gut machen wollen“. Wohl kein Landrat in Bayern habe die Feuerwehren häufiger besucht als sie. Wer hätte also voraussehen können, dass Pauli im 16. Jahr es im Landratsamt Fürth mit der Staatskanzlei in München aufnehmen würde?

Gabriele Pauli hat die CSU verändert, so wie Angela Merkel die CDU verändert hat, als sie zuzeiten der Parteispendenaffäre in einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gegen Helmut Kohl Position bezog. Doch der Politologe Micus findet, dass der Vergleich hinkt. „Merkel ist auf einen Zug aufgesprungen, von dem sie wusste, dass er sicher ankommt. Pauli hingegen hat den Zug gekapert, sich selbst ins Führerhäuschen gestellt, obwohl sie nicht wusste, ob sie einen Zug lenken kann.“

Zum Essen schlägt Pauli das nahe gelegene Lokal „Ritzi“ vor. Sie setzt sich an einen Tisch, der draußen auf einem schmalen Bürgersteig steht. Schon früher, sagt sie, sei sie mitunter angeeckt, aber aus „Unbekümmertheit“. Als junge Politikerin hat sie sich einmal beim Bayerischen Umweltministerium nach einem Anwalt erkundigt für einen Rechtsstreit des Landkreises. An der Kanzlei, die ihr empfohlen wurde, war auch Peter Gauweiler beteiligt. Der war zugleich Umweltminister. In einem Untersuchungsausschuss wies sie auf die Verquickung hin. „Ich dachte, die CSU freut sich, dass so ein schwarzes Schaf entsorgt werden kann. Doch die waren hinterher böse auf mich.“ Sie lacht wieder.

Trotz dieser Erfahrung war sie überrascht, als ihr im Monat nach Stoibers Rücktrittsankündigung am Aschermittwoch in der Passauer Nibelungenhalle Feindseligkeit entgegenschlug. Männer riefen „Hexe“ und „Hure“. Schließlich brandeten „Pauli raus“-Rufe durch die Halle. Pauli sagt, dass Markus Söder im Rhythmus mitgeklatscht habe. „Ich war eine im dunkelblauen Kostüm immer korrekt auftretende Landrätin, hatte die besten Wahlergebnisse für die CSU. Alles war superperfekt. Auf einmal wagt man es, mich so niederzumachen.“

Ist es konservative Männerbündelei, die dazu führt, dass die CSU-Politiker so wenig gelassen bleiben, wenn eine mal aus der Reihe tanzt? Beim Parteitag ein halbes Jahr später drehten sie ihr das Mikrofon ab, als sie von Beckstein eine Erklärung dafür verlangte, dass er sie angeblich zum Psychiater schicken wollte. Dabei hieß der Tagesordnungspunkt Aussprache.

Der Politologe Matthias Micus sagt, dass es auch davon abhänge, ob eine Partei in der Regierung oder in der Opposition sei, wie tolerant sie sich gegenüber Kritikern aus den eigenen Reihen zeige. In Oppositionszeiten seien Parteien notgedrungen bereit, sich zu erneuern. Lafontaine und Schröder hätten sich in den Jahren, als die SPD nicht gegen Kohl ankam, erfolgreich gegen ihre Partei profiliert. Als Schröder schließlich Kanzler war, erzwang er Geschlossenheit, indem er mit der Vertrauensfrage drohte. Lafontaine wiederum trat aus der SPD aus und in die WASG ein.

Pauli wechselte von der CSU zu den Freien Wählern. „Die Partei fühlte sich zuletzt wie ein Pelzmantel an, den man im Sommer anhat“, sagt sie. Auszutreten habe sie als Erleichterung empfunden. Ihre Forderung, dass jede Ehe nach sieben Jahren endet und wieder neu geschlossen werden muss, hat sie mitgenommen. Im konservativen Bayern ein sicheres Aufregerthema. „Ich finde eine Ehe ohne Gefühl ist lebensverletzend“, sagt Pauli, „die Menschen sollten sich leichter trennen können. Dann sind sie frei.“

Doch scheinen die Fliehkräfte, die einen Parteirebellen ins Abseits drängen, in der neuen Partei stärker zu sein als in der alten. „Wer bei einer Partei Ärger macht, macht es bei der nächsten wieder“, sagt der Vorsitzende der Freien Wähler, Hubert Aiwanger. In seiner Partei haben bereits mehrere Prominente Zuflucht gesucht. Außer Pauli der ehemalige BDI-Chef Hans-Olaf Henkel und der Enkel Adenauers, Stephan Werhahn. Aiwanger nennt sie „Politabschnittsgefährten“, denn alle drei sind nicht mehr dabei. In der „Aufbauphase“ habe seine Partei Prominenz gebraucht. „Und die Prominenten haben bei uns eine Bühne gefunden, die sie woanders nicht mehr gehabt hätten.“ Ein Dissens über die Teilnahme der Partei an der Bundestagswahl 2009 führte zum Bruch mit Pauli. Aiwanger will das Verhältnis nicht mehr kitten. „Sie hat unsere Hintermannschaft malträtiert mit ihren Themen: der Sieben-Jahres-Ehe und solch einem Klimbim.“

Pauli erzählt eine Anekdote, um Aiwanger zu charakterisieren: Jedes Jahr, sagt sie, käme im Landtag dieselbe Debatte auf: Schützt man die Kormorane oder die Fische? In der Regel würden Wissenschaftler referieren, die sich mal für die eine, mal für die andere Spezies aussprechen würden. Aiwanger habe in der Fraktion die Parole ausgegeben: „Gegen die Kormorane, für die Fisch’. Weil die Fisch’ kann man essen.“

Sie passten nicht zusammen, Aiwanger und Pauli. Der bodenständige Landwirt und die kapriziöse Landrätin. Sie hat schließlich eine eigene Partei gegründet: die Freie Union. Ein Unterfangen, das für ihr großes Ego spricht. „Wenn eine Person das einzige Alleinstellungsmerkmal einer neuen Partei ist, kann man die Partei vergessen“, sagt der Politologe Micus. Nach einem Jahr Dauerstreit hat Pauli die Freie Union verlassen. Die heutige Vorsitzende Helga Hummel hätte Pauli gerne zurück. „Neue Parteien ziehen streitbare Menschen an“, sagt Hummel. „Pauli hat es einfach nicht mehr ausgehalten, was das für ein Stress war.“

Der Himmel über München hat sich verhangen. Gabriele Pauli löffelt eine Gemüsesuppe, eine Ausgestoßene des Politikbetriebs. Doch sie wirkt gelassen. In den Monaten nach Stoibers Sturz habe sie ihr Wesen verändert, sagt sie. „Ich habe eine andere Kameraeinstellung gewählt. Die Menschen tragen Wut und Hass in sich. Ich war nur der Anlass, warum er ausbricht.“ Sie deutet auf einen Blumenkübel. „Da sind tolle Kräuter bei, so eine Art Mini-Melisse“, sagt sie. Der Tee sei ein ganz neues Interesse von ihr. Hauptberuflich will sie künftig Seminare geben: Menschen beraten, die vor wichtigen Lebensentscheidungen stehen. Nach einem Vierteljahrhundert als Berufspolitikerin aufzuhören, stimme sie nicht sentimental. „Alten Dingen nachzutrauern, das gibt es bei mir gar nicht.“

Vor ihr liegt ihre Autobiografie, die im September erscheint. Sie heißt: „Die rote Rebellin. Fortschritt braucht Provokation.“ Neben der Rückschau beschreibt sie darin ihre politischen Positionen. Sie wird sich auch künftig nicht nur mit Teeanbau begnügen. Das steht fest. Ein Kapitel widmet sie Karl Marx, den sie dafür bewundere, wie sie sagt, dass er sich „für die Schwachen“ eingesetzt habe. Zwar hat sie mit dem Bezug auf Marx kein Alleinstellungsmerkmal für eine Partei gefunden, aber im bürgerlichen Bayern ein sicheres Tabu. Das wird Ärger geben. Gabriele Pauli lächelt.

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