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Politik: Gaddafis Masken

Von Peter von Becker

Schauprozesse haben in der heutigen Medienwelt zumindest einen Vorteil. Anders als zu Stalins, Hitlers oder noch Maos Zeiten können tyrannische Unrechtsstaaten die Wirkung ihrer inszenierten Gerichtsverfahren nicht mehr totalitär steuern. Vielmehr stellt sich die Regie des Rechtsbruchs selbst zur Schau, und die Szene wird auch zum Tribunal der Richter.

Das jüngste Beispiel liefert der Prozess gegen fünf bulgarische Krankenschwestern und einen palästinensischen Arzt in Tripolis. Zum zweiten Mal hat das libysche Gericht die Angeklagten zum Tod durch Erschießen verurteilt – gegen alle Zweifel, Proteste und Gegenbeweise aus Europa und Amerika. Die Frauen und der Mann sollen sterben, weil sie Ende der 90er Jahre 426 Kinder im Krankenhaus von Bengasi vorsätzlich mit dem Aidsvirus infiziert haben sollen. 52 Kinder sind inzwischen wohl gestorben. Während man sich freilich fragt, was die als Gastarbeiter aus materieller Not ins ölreiche Libyen gekommenen Angeklagten bewogen haben mag, Job und Leben für ein derart wahnwitziges Massenverbrechen aufs Spiel zu setzen, gibt es eine Vielzahl von Zeugen, Indizien und Gutachten. Sie besagen: Die seit 1999 Inhaftierten wurden gefoltert und vergewaltigt, längst widerrufene Geständnisse waren erpresst worden, in dem Kinderkrankenhaus von Bengasi herrschten skandalöse medizinische und hygienische Verhältnisse. Vor allem aber zeigen wissenschaftliche Studien, dass das entsprechende Aidsvirus in Bengasi schon zuvor existierte und eine Epidemie von den libyschen Behörden verschleiert wurde. Weil der große Revolutionsführer Gaddafi dekretiert hatte, dass es Aids im sittenstreng muslimischen Libyen nicht gebe.

Also wurden Agenten der CIA und, natürlich, des israelischen Geheimdienstes Mossad als ominöse Hinterleute der Bulgarinnen und des Palästinensers behauptet. Auch jetzt noch schickt Muammar al Gaddafi seinen Außenminister vor, um von der „Unabhängigkeit der libyschen Justiz“ zu fantasieren und die Schmierentragödie nochmals in Revision gehen zu lassen. Die reale Tragödie aber ist: Die vom Tod bedrohten fünf Frauen und der Mann durchleben seit sieben Jahren ein Martyrium. Und die infizierten Kinder sterben weiter, denn Gaddafi nutzt die Verzweiflung der Kranken und ihrer Angehörigen als Druckmittel. Über vier Milliarden Euro soll ausgerechnet das arme Bulgarien an die Aidsopfer zahlen: als Faustpfand für die Freilassung der fünf Frauen.

Das klingt nach einer teuren Quittung für Gaddafis Petrodollars, mit denen er sich zur späten Entschädigung der Hinterbliebenen des Lockerbie-Anschlags bereit erklärt hatte. Der oberste Libyer war ja immer ein Dealer. Dank seiner Ölquellen ging es ihm allerdings weniger ums Geld als um Geltung. Und um Machtpolitik: erst für das verwehte Projekt Panarabien, mittlerweile nur noch für seine Person und sein Land. So möchte der frühe Förderer des internationalen Terrorismus, einst ein Prä-Osama, heute als friedliebender Realist erscheinen.

Die Europäische Union mit ihrem neuen Mitglied Bulgarien und der neuen Ratspräsidentin Angela Merkel wird 2007 die Todeskandidaten von Tripolis endlich freihandeln müssen. Libyen hat geostrategisch und energiepolitisch Gewicht. Trotzdem kann es kein Lösegeld als Quasi-Schuldeingeständnis geben. Der Diplomatie sollte genügen, wenn der reiche Diktator seine Opfer in der Maske des obersten Gnadenrichters entlässt. Das wäre der letzte Akt im Schauprozess.

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